Vulkane – Wüsten – Regenwälder (2019)

Vom bolivianischen Altiplano über die Atacama nach Araukarien

Eine Reise durch Chile und Bolivien

September/Oktober 2019

Prolog

Im September und Oktober 2019 führte uns eine insgesamt fünfwöchige Reise nach Chile und Bolivien. Ziel waren die großartigen Vulkan- und Wüstenlandschaften im Norden Chiles und auf dem bolivianischen Altiplano, aber auch der Kleine Süden Chiles. Wir – das waren meine Frau Evelyn, mein Bruder Andreas und meine Wenigkeit.

Um möglichst flexibel unterwegs sein zu können, hatten wir ursprünglich beabsichtigt, ein geländetaugliches Wohnmobil zu mieten. Diesen Plan verwarfen wir aber wegen der unverhältnismäßig hohen Kosten schnell wieder. So entschieden wir uns für die Variante, die nicht unbeträchtlichen Entfernungen in Chile mittels eines geräumigen 4WD-Fahrzeugs zurückzulegen und die Nächte in kleinen Hotels und Guest Houses zu verbringen. Dank Internet konnten wir auf diese Weise im Laufe eines jeden Tages oder am Abend entscheiden, wo unser nächstes Bett stehen sollte. So haben wir viele nette kleine Unterkünfte kennengelernt und sind nie wirklich enttäuscht worden. Aber dazu später mehr. Gelegentlich kam es allerdings zu fragenden oder erstaunten Blicken, wie denn eine Frau mit zwei Männern unterwegs sein könne… Aber auf solche Befindlichkeiten konnten wir keine Rücksicht nehmen.

Die Flüge nach Chile und zurück hatten wir schon im Frühjahr gebucht, bei der italienischen Fluggesellschaft Alitalia waren sie besonders günstig. Was wir zur Zeit unserer Buchung nicht wussten: die Alitalia war insolvent und wurde nur durch Finanzspritzen des italienischen Staates am Leben (und in der Luft) gehalten. So bangten wir bis zum Schluss, dass unsere Flüge nach Santiago de Chile auch wirklich durchgeführt wurden und dass wir am Ende auch wieder nach Hause kommen würden. Aber es ging alles gut, der Service während der Flüge war in Ordnung, wenn auch die Maschinen ihre besten Tage schon lange hinter sich hatten.

Andi steht noch im Arbeitsleben und hatte nur drei Wochen zur Verfügung, so waren wir bemüht, die Highlights der Reise in diese ersten drei Wochen zu legen. Und der Norden Chiles hält jede Menge landschaftlicher Höhepunkte bereit, insbesondere wenn die Reise mit einem Besuch des bolivianischen Altiplano kombiniert wird.

Der September auf der Südhalbkugel entspricht wettermäßig in etwa dem März auf der nördlichen Hemisphäre: es wird Frühling. Es wäre besser gewesen, einen Monat später zu reisen, aber aus verschiedenen Gründen war das leider nicht möglich. So waren die Tage Anfang September nur mäßig warm und die Nächte noch relativ kühl. Diese Reisezeit hat allerdings den unschätzbaren Vorteil, dass wir an vielen Orten oft die einzigen Touristen waren. Auch dazu später mehr.

Im September 2019 konnten wir nicht ahnen, dass wir unsere Reise nur ein halbes Jahr später nicht mehr hätten antreten können. Corona-Viren waren seinerzeit nur wenigen Experten ein Begriff und COVID-19 gab es noch gar nicht. So sind wir froh, dass wir damals unbeschwert und frei von jeglichen Restriktionen unsere geplante Reise absolvieren konnten.


Flug München – Rom

Montag, 2.September 2019

Über die Alpen nach Rom

Wir sind startklar, unsere Koffer und Seesäcke sind gepackt. Uschi und Karl fahren uns zum Münchner Flughafen, wo Andi schon auf uns wartet. Er ist von Jena mit dem Zug angereist. Wir gehen gemeinsam noch einmal alle wichtigen Punkte durch, ein paar Kleinigkeiten könnten wir notfalls auf dem Flughafen noch besorgen.

Gegen 18.30 Uhr startet mit leichter Verspätung unsere Alitalia-Maschine in Richtung Rom. Beim Anflug auf Rom durchquert unser Flieger eindrucksvolle Wolkenformationen. Es sind gewaltige Gewittertürme, die in ein intensiv rotes Licht getaucht sind. Je näher wir dem Boden kommen, desto dunkler und gespenstischer wird wird die Lichtstimmung. Als wir am Flugsteig ankommen, entlädt sich ein heftiges Gewitter, begleitet von starkem Regen. Wegen des Schlechtwetters hebt unser Flieger gut eine Stunde später als geplant in Richtung Santiago de Chile ab. Also heißt es wieder einmal, wie so oft auf Flughäfen, die Zeit totzuschlagen. Der riesige Airport von Rom bietet dafür zwar reichlich Gelegenheit, aber zum einen sind wir keine Power-Shopper, zum anderen müssten wir den ganzen Krempel wochenlang mit uns herumschleppen.

Endlich sind wir in der Luft und bald draußen über dem Atlantik. Es wird ein ruhiger Nachtflug. Irgendwann wache ich auf und schaue aus dem Fenster. Wir überfliegen gerade eine riesige, hell erleuchtete Stadt. Ein Blick auf mein GPS, das ich immer mitlaufen lasse, sagt mir, dass es Brasilia sein muss. Wir sind also schon über Südamerika.


Flug Rom – Santiago de Chile

Dienstag, 3.September 2019

Unsere erste Station: Santiago de Chile

Als die Sonne aufgeht, befinden wir uns gerade über Paraguay. Unter uns ist eine nahezu geschlossene Wolkendecke. Über Argentinien lichten sich die Wolken, und so bekommen wir Cordoba und den riesigen Lago Pampa de las Salinas zu Gesicht. Vor dem Überflug der Andenkette verdichten sich die Wolken wieder, aber dann bricht sich die Sonne endgültig Bahn.

Ich sitze am rechten Fenster und habe einen fantastischen Blick auf die mächtigen Berge der Andenkette. Wir fliegen ganz nah am Aconcagua (6961 m), dem höchsten Berg der westlichen und südlichen Hemisphäre vorbei. Gegen neun Uhr landen wir schließlich in Santiago de Chile. Als wir nach den üblichen Einreiseformalitäten das Flughafengebäude verlassen, ist es draußen sonnig und warm.

Cerro AconcaguaArgentinien (6961 m), höchster Berg der westlichen und südlichen Hemisphäre

Die ersten Stunden in einem fremdem Land sind immer aufregend, die vielen neuen Eindrücke drohen, einen zu erschlagen. Wenn man dann nach Wochen das Land wieder verlässt, kommt einem alles sehr vertraut vor. So ist uns das auf vielen Reisen ergangen.

Unser Mietwagen steht erst in zwei Tagen für uns bereit, wir hatten beschlossen, Santiago als “Einstiegsdroge” für Chile zu nutzen. Deshalb lassen wir uns von einem Taxi zu unserer Unterkunft bringen. Die hatten wir als ersten Anlaufpunkt schon von zu Hause aus gebucht, alle anderen Übernachtungen wollen wir einen Tag im voraus über das Internet festmachen.

Das Hostal Forestal liegt sehr günstig in Zentrumsnähe, welches zu Fuß in zwanzig Minuten erreichbar ist. Das Hostal hat die Anmutung und den Charme einer Jugendherberge, es sind auch fast nur junge Leute (Backpacker) anzutreffen. Die Zimmer und sanitären Anlagen sind einfach, aber sauber. Wir checken ein, stellen unser Gepäck unter und machen uns dann gleich auf den Weg ins Zentrum von Santiago. Der offizielle Name Santiago de Chile wird übrigens von den Einheimischen nur selten benutzt, für sie ist es einfach nur Santiago.

Auf dem Weg ins Zentrum kommen wir an einem kleinen Straßencafé vorbei und gönnen uns eine kleine Auszeit. Der Kaffee ist gut, die Bedienung freundlich, aber die Preise unterscheiden sich kaum von denen in Deutschland. Das werden wir auf unserer ganzen Reise immer wieder erleben: Chile ist kein Billigreiseland. Für uns als Touristen ist das kein großes Problem, für die einfachen Menschen in Chile schon. Viele können sich das Ausgehen in ein Restaurant nicht leisten, weshalb in Chile viel zu Hause gekocht wird. Die Preise für Lebensmittel sind allerdings ähnlich hoch wie in Deutschland, und wir fragen uns oft, wie der Durchschnittschilene das schultert.

Wir kommen zum Plaza de Armas, fast jede größere Stadt in Südamerika hat einen Plaza de ArmasChiles Hauptstadt zählt nicht zu den Sehenswürdigkeiten in Südamerika, die man unbedingt besucht haben muss. Andreas Altmann schrieb sinngemäß, das Beste an Santiago seien die Sechsttausender, die die Stadt umlagern, die man aber wegen des allgegenwärtigen Smogs kaum zu Gesicht bekomme.

Plaza de ArmasSantiago de Chile

Wir kehren zurück in unser Hostal und beziehen unser Zimmer. Zum Abendessen besuchen wir ein kleines Restaurant ganz in der Nähe, welches wir auf unserem kleinen Stadtrundgang auserkoren hatten. Wiederum nette Bedienung und gutes Essen, bei einem Glas chilenischen Weins lassen wir unseren ersten Tag ausklingen.


Ein paar Fakten zu Chile

Chile ist das Land mit der verrücktesten Geografie, das ich kenne. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 4275 Kilometer, in Ost-West-Richtung ist es durchschnittlich nur 180 Kilometer breit. Auf Europa übertragen entspricht die Nord-Süd-Ausdehnung etwa der Entfernung von Dänemark bis in die Sahara. Aufgrund der 39 Breitengrade in Nord-Süd-Richtung und der großen Höhenunterschiede in Ost-West-Richtung gibt es in Chile zahlreiche Klima- und Vegetationszonen. Die Unterschiede zwischen der Atacama im Norden und den immergrünen Regenwäldern Patagoniens könnten größer kaum sein.

Geografisch wird Chile in vier große Bereiche unterteilt:

  • Der Große Norden (Norte Grande), von der Grenze zu Peru bis etwa zur Stadt Copiapó
  • Der Kleine Norden (Norte Chico), von Copiapó bis etwas nördlich von Santiago de Chile
  • Der Kleine Süden (Sur Chico), von etwa Santiago de Chile bis etwa Puerto Montt
  • Der Große Süden (Sur Grande), von etwa Puerto Montt bis Feuerland

Der höchste Berg des Landes ist der ruhende Vulkan Ojos del Salado (6893 m) östlich von Copiapó. Er ist nur etwa 100 m niedriger als der Aconcagua, der zum Leidwesen der Chilenen auf argentinischem Boden liegt. Und der Ojos ist somit der zweithöchste Berg der gesamten westlichen und südlichen Hemisphäre.

Der Große Süden oder Patagonien beginnt etwa bei Puerto Montt und endet mit Kap Hoorn, dem südlichsten Punkt der großen Landmassen unserer Erde. Weiter südlich befindet sich nur noch die Antarktis.

Die Landesfläche beträgt 756.102 km², womit Chile mehr als doppelt so groß wie Deutschland ist. Mit 19,1 Millionen Einwohnern hat Chile nur knapp ein Viertel der deutschen Bevölkerungszahl. Allein im Ballungsraum Santiago de Chile leben aber über 7 Millionen Menschen.


Santiago de Chile

Mittwoch, 4.September 2019

Unterwegs in der chilenischen Hauptstadt

Die Nacht war kalt in den unbeheizten Zimmern unseres Hostals, so haben wir alle verfügbaren Decken genutzt, um einigermaßen warm zu bleiben. Das Frühstück ist spartanisch, eher Typ Continental. Bald machen wir uns auf den Weg zum Plaza de Armas, den wir bereits vom Vortag kennen. Dort herrscht schon reges Treiben.

Wir buchen eine Stadtrundfahrt mit einem Hop-On-Hop-Off-Bus. Das haben wir bereits in verschiedenen anderen Städten der Welt zu schätzen gelernt. Auf diese Weise sieht man alles Wichtige und Wesentliche einer Stadt, und wo es einem besonders gefällt, kann man Station machen.

Bei der Fahrt durch Santiago stellen wir fest, dass es eine moderne Stadt ist. Neben den relativ wenigen historischen Gebäuden gibt es viele Wolkenkratzer aus Glas und Stahl. Das höchste Gebäude Südamerikas, der Gran Torre de Santiago mit einer Höhe von 300 m, steht in Santiago. Der Eindruck von Santiago bestätigt das, was wir schon gelesen und gehört hatten, dass es weitaus schönere Metropolen in Südamerika gibt.

Nach einer kurzen Mittagspause fahren wir mit dem Bus weiter bis unterhalb des Hausberges Santiagos, dem Cerro San Cristóbal. Er erhebt sich knapp 200 m über die Stadt, wir wollen ihn zu Fuß erklimmen. Wir wählen einen kleinen Trampelpfad, der vermeintlich auf den Berg führt. Irgendwann verliert sich das Weglein im Nichts. Zurück wollen wir keinesfalls, so müssen wir uns, teilweise auf allen Vieren, in dem steilen Gelände nach oben kämpfen. Über uns sehen wir Leute, die sich offenbar auf dem richtigen Fußweg befinden und voller Erstaunen auf uns herabblicken. Bald aber können auch wir uns wieder des aufrechten Gangs bedienen.

Auf dem Gipfel des Hügels befinden sich eine Kirche, ein Amphitheater und eine 22 m hohe Statue der Jungfrau Maria. Von hier oben bietet sich ein fantastischer Blick auf die Stadt und die umliegenden Sechstausender. Leider liegt alles unter einer zähen Dunstglocke, dem berüchtigten Smog von Santiago. Immerhin leben über sieben Millionen Menschen im Großraum Santiago.

Blick vom Cerro San Cristóbal auf Santiago

Für den Abstieg wählen wir diesmal den normalen Fußweg, so wie alle anderen auch. Am Fuß des Hügels befindet sich auch die untere Station einer Standseilbahn. Mit dem Bus geht es weiter bis zum Regierungsviertel und zur Moneda (Palacio de la Moneda). Die ehemalige Münzprägeanstalt beherbergt heute den Präsidentenpalast.

An der Moneda beenden wir auch unsere Stadtrundfahrt, wir sind mittlerweile pflastermüde. Zu Fuß geht es zurück in unser Hostal, morgen wollen wir unseren Mietwagen am Flughafen abholen und müssen früh raus.


Santiago de Chile – Valparaíso

Donnerstag, 5.September 2019

Valparaíso zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Nach dem Frühstück bringt uns ein Taxi zum Autovermieter am Flughafen von SantiagoEigentlich hatten wir einen 4×4-Geländewagen mit Hardtop gemietet, auf uns wartet ein Nissan Navara Double Cab. Er hat über der Ladefläche eine staub- und wasserdichte Plane. Zwar nicht das, was wir erwartet hatten, aber wir sind zufrieden. Wir werden aber bald feststellen, dass es mit der Staubdichtheit nicht allzu weit her ist, so verpacken wir unsere Taschen und Rucksäcke zusätzlich in großen Müllbeuteln. Damit ist das Problem gelöst.

Über Autobahn und Landstraße erreichen wir Valparaíso zügig. Unser Hotel Verso, welches wir am Abend zuvor gebucht hatten, ist ein kleines und nettes Designerhotel hoch über Valparaíso. Wir checken ein, die Hotelmanagerin besteht darauf, dass wir unser Auto in der verschlossenen Tiefgarage abstellen. Die Zimmer sind hell und freundlich, die Betten sind bequem, alles ist blitzsauber. An der Wand über den Betten befindet sich ein paar Zeilen aus einem Gedicht von José Grimaldi.

Die Stadt erstreckt sich über eine Vielzahl von Hügeln, auf einem davon befindet sich unser Hotel. Von dessen Dachterrasse hat man einen wunderschönen Blick auf die Hafenbucht und weite Teile der Altstadt. Dort und auf einigen der Hügel leben viele Künstler, für die die Stadt berühmt ist. Die meisten Reiseführer schwelgen in den höchsten Tönen von Valparaíso, lebte doch selbst Pablo Neruda, der chilenische Nationaldichter, in Valparaíso. Er sei fasziniert gewesen von den vielen zahllosen Treppen der Stadt.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf begeben wir uns am Nachmittag zu Fuß hinunter in die vielgerühmte Altstadt. Eine der zahllosen Treppen führt steil hinunter, links und rechts der Treppe lagern Unmengen von Müll. Wir passieren eine Engstelle der Treppe, an der ein paar abgerissene Jugendliche abhängen. Uns ist nicht ganz wohl, zumal wir die momentan einzigen Menschen sind, die die Treppe benutzen.

Unten in der Altstadt angekommen, müssen wir feststellen, dass der erste Eindruck vielleicht noch der beste war. Von Künstlerhand bunt bemalte Häuser gibt es schon, aber viele alte Häuser sind einfach nur baufällig und mit Graffitis verunstaltet, die mit Kunst wenig zu tun haben. Wir hatten uns vorgestellt, im Hafenviertel ein wenig dem Treiben zuschauen und vielleicht einen Kaffee trinken zu können, aber ans Ufer gelangt man in Valparaíso gar nicht. Die meisten Restaurants und Cafés sind (noch?) geschlossen, schon eine der Hauptstraßen zu überqueren, ist wegen des chaotischen Verkehrs eine Herausforderung. Und die Zugänge zu den oft gepriesenen Standseilbahnen sind meist dunkel, stinkend und verdreckt. Die Stadt ist bunt und dreckig, laut und überfüllt.

Bunt bemaltes Haus in Valparaíso

Mit einem Wort: Anspruch und Wirklichkeit klaffen in Valparaíso weit auseinander. Meiner Meinung nach lebt die Stadt von ihrem Ruf aus der Vergangenheit, auch dank ihres berühmtesten Bewohners Pablo Neruda. Wir konnten den Hype, der um Valparaíso gemacht wird, beim besten Willen nicht nachvollziehen. Es gibt in der Tat einige schöne Gassen, aber insgesamt macht Valparaíso einen ziemlich verwahrlosten Eindruck. Und dass ich mit dieser Meinung nicht ganz allein bin, habe ich später bei Recherchen im Internet bestätigt gefunden. Wir werden später noch manchmal feststellen, dass Beschreibungen im Reiseführer nicht immer mit unserer Erfahrung übereinstimmen, im positiven wie im negativen Sinne.

Wir kommen an einem kleinen Anwesen vorbei, dessen Besitzer ein Faible für Autoradkappen (!) zu haben scheint. Die Fassaden des kleinen Hauses sind vollgepflastert damit. Vielleicht ist das ja auch eine künstlerische Installation, Valparaíso ist eben doch ein wenig anders als der Rest Chiles.

Bevor es dunkel wird, steigen wir wieder hinauf auf den Hügel zu unserem Hotel. Jetzt beginnen wir zu verstehen, warum die Hotelmanagerin unser Auto sicher verschlossen wissen wollte. Der Abend im Hotel entschädigt uns allerdings wieder. Nach einem schmackhaften Abendessen begeben wir uns auf die Dachterrasse und der Ausblick auf das nächtliche, sich über zahlreiche Hügel erstreckende Valparaíso, versöhnt uns wieder.


Valparaíso – Ovalle

Freitag, 6.September 2019

Von Valparaíso in Richtung Norden

Valparaíso – Ruta 5 – Parque Nacional Bosque Fray Jorge – Ovalle, 464 km

Am Morgen sitzen wir zum Frühstück (gut und reichlich) auf der verglasten Dachterrasse unseres kleinen Hotels, über Valparaíso liegt leichter Dunst. Die nächtliche Schönheit der Stadt ist gewichen und macht bleicher, schaler Nüchternheit Platz. Uns zieht es weiter, um die Erfahrung reicher, dass nicht alles, was hoch gelobt wird, auch gefallen muss. Selbst, wenn es sich um Weltkulturerbe handelt.

Unser Versuch, direkt an der Küste entlangzufahren will nicht so recht gelingen. Auf unserer Weiterfahrt kommen wir durch das etwas weiter nördlich gelegene Viña del Mar, beide Städte gehen ineinander über. Hier ist man in einer ganz anderen Welt, es ist sauberer und aufgeräumter. Sicher, eine Stadt der Reichen und Schönen, aber mit ein klein wenig Aufwand könnte man auch Valparaíso ansehnlicher machen.

Dann erreichen wir die berühmte Panamericana, auch Panamericana en Chile oder kurz Ruta 5 (RN 5). Als Hauptverkehrsader zieht sie sich über fast 3400 km von der Grenze zu Peru im Norden bis nach Puerto Montt im Süden.

Die Panamericana ist gebührenpflichtig, alle 100 bis 150 Kilometer gibt es eine Mautstation. Die RN 5 ist gut ausgebaut, der Verkehr deutlich weniger dicht als in Deutschland. Man kommt gut voran, aufgrund der Tempolimits (120 km/h) ist es ein entspanntes Fahren. Und heute müssen wir Strecke machen. Die RN 5 führt in diesem Abschnitt oft an oder in der Nähe der Pazifikküste entlang.

Bei Socos verlassen wir die Panamericana in Richtung Westen, wir wollen zum Parque Nacional Bosque Fray Jorge, einem Küstennebelwald. Über kleine Straßen und die letzten 40 Kilometer über eine Sandpiste treffen wir gegen 15.20 Uhr am Eingang des Nationalparks ein. Wir haben Pech, um 16 Uhr schließt das Gate, wir werden nicht mehr eingelassen.

Also die ganze Strecke zurück, wir sind etwas enttäuscht. Aber wir haben ja auch noch kein Quartier für die nächste Nacht, also fahren wir in die beschauliche Stadt Ovalle, die östlich der Panamericana liegt. In einem kleinen Café nutzen wir das WiFi, um per Internet zu buchen. Und wir finden eine Pension außerhalb von Ovalle.

Als wir am Apart Hotel Dolce Vita (!) ankommen, ist alles dunkel, kein Mensch zu sehen. Wir befürchten schon, dass etwas schiefgelaufen ist, aber irgendwann erscheint der Besitzer und entschuldigt sich, dass er die Buchung so spät zugestellt bekam. Kein Problem, sagen wir ihm, Hauptsache, wir haben ein Bett für die Nacht.

Die Villa ist im sizilianischen Stil erbaut, was uns nicht verwundert, als er erzählt, er sei Sizilianer. Seine chilenische Frau sei der Grund dafür, dass es ihn hierher verschlagen hat. Nachdem er uns unsere Zimmer gezeigt hat, verschwindet er wieder. Es ist eben noch Vorsaison, wir sind die einzigen Gäste in der Villa. Obwohl er die Heizung aktiviert hat, kommt aus den Duschen nur kaltes Wasser, aber wir werden es überleben. Von der Veranda hat man einen schönen Blick auf das nächtliche Ovalle, im Hintergrund die Ausläufer der Andenkette.

Blick über das nächtliche Ovalle

Ovalle – Parque Nacional Bosque Fray Jorge – La Serena

Samstag, 7.September 2019

Faszinierender Küstennebelwald

Ovalle – Parque Nacional Bosque Fray Jorge – La Serena, 228 km

Am Morgen lernen wir auch die freundliche Hausherrin kennen, sie kommt, um unser Frühstück zuzubereiten. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft und ziehen weiter.

Heute wollen wir zuerst den Nationalpark besuchen, der uns gestern zu vorgerückter Stunde abgewiesen hat. Auf der Fahrt dorthin, fallen uns zum ersten Mal die Animitas (deutsch: kleine Seelen) am Straßenrand auf. Sie werden uns auf unserem Weg durch die Atacama noch oft begegnen. Heiligenfiguren, Plüschtiere, Grüße von Verwandten, Freunden oder Arbeitskollegen, manchmal kitschig, manchmal rührend arrangiert und oft von einem kleinen Häuschen umrahmt, sollen an Menschen erinnern, die Opfer der Müdigkeit, der Langeweile oder der Raserei in den eintönigen Weiten der Atacama-Straßen geworden sind. Man fragt sich oft unwillkürlich, wie an dieser Stelle ein Unfall hatte passieren können, aber die Animitas befinden sich meist vor oder nach einer Kurve, die eine kilometerlange gerade Strecke abschließt. Die Animitas werden liebevoll gepflegt, man findet gelegentlich auch Stühle, damit Hinterbliebene etwas bequemer Zwiesprache mit den Seelen der Verstorbenen halten können. Hier mischen sich katholischer Glaube und animistische Vorstellungen der indigenen Bevölkerung zu einer lebendigen Erinnerungskultur.

Eines der zahlreichen Animitas am Straßenrand

https://www.n-tv.de/leute/buecher/Die-kleinen-Seelen-an-der-Panamericana-article15400171.html

Wir begeben uns nochmals auf die 40 Kilometer Sandpiste bis zum Parque Nacional Bosque Fray Jorge. Diesmal werden wir eingelassen. Bis man vom Eingang des Nationalparks zu den eigentlich interessanten Orten kommt, sind es noch ein paar Kilometer mit dem Auto. Es ist eine dicht bewachsene Landschaft mit sanften Hügeln. Die vom Pazifik kommende feuchte Luft wird von den direkt hinter der Küstenlinie ansteigenden Hügeln zum Aufsteigen gezwungen. Dadurch bilden sich Nebel, und die Bäume und Sträucher kämmen mittels der in ihnen hängenden zahlreichen Flechten die Feuchtigkeit aus der Luft.

Parque Nacional Bosque Fray Jorge

Dieser Küstennebelwald hat eine Ost-West-Ausdehnung von nur wenigen Kilometern. Eine kurze Wanderung auf Holzstegen (zum Schutz des empfindlichen Bewuchses) führt zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf die Küstenlinie. Viele Vögel, allen voran Kolibris, finden in dem dichten Bewuchs Schutz. Außer uns sind nur wenige Besucher unterwegs, es ist noch Vorsaison. Wer Zeit hat, kann in der eindrucksvollen Landschaft zahlreiche Wanderungen unternehmen. Wir müssen uns leider auf den Weiterweg machen.

Wir fahren zurück zur Panamericana und dann weiter in Richtung Norden. Wir nähern uns der Stadt Coquimbo, die nahtlos in die Regionalhauptstadt La Serena übergeht. Schon von weitem sieht man ein monumentales Kreuz. 92 m hoch ist das Kreuz des dritten Jahrtausends auf dem höchsten Hügel der Stadt. Coquimbo gilt als Wallfahrtsort, uns erinnert das Kreuz ein wenig an die stalinistischen Monumentalbauten der Nachkriegszeit. Eine Nummer kleiner hätte auch gereicht…

Das Kreuz des dritten Jahrtausends in Coquimbo

In La Serena haben wir ein Zimmer in einem netten kleinen Hotel gebucht. Einen Frühstücksraum, so erfahren wir, gebe es nicht, unser Frühstück werde uns am nächsten Morgen aufs Zimmer gebracht. Uns soll es Recht sein. Am Abend besuchen wir ein Chinarestaurant, eines der wenigen Restaurants, die überhaupt (schon oder noch?) geöffnet haben. Wir werden satt, aber gut chinesisch Essen geht anders.


La Serena – Vallenar – Copiapó – Caldera – Chañaral

Sonntag, 8.September 2019

Weiter nordwärts auf der Panamericana

La Serena – Vallenar – Copiapó – Caldera – Chañaral, 540 km

Am Vorabend hatten wir an der Rezeption unser Frühstück für acht Uhr dreißig bestellt. Gegen halb acht klopft es an unserer Zimmertür, wir liegen noch in den Betten. Haben wir verschlafen? Ein Blick auf die Uhr sagt uns, dass das nicht der Fall ist. Gab es vielleicht ein Kommunikationsproblem? Auch das können wir ausschließen. Bis wir endlich begreifen, dass wir einem Irrtum aufgesessen sind. Am Abend zuvor hatten wir im Internet noch recherchiert, ob es in Chile eine Sommerzeit gibt. Chile ist das einzige Land in Südamerika, das eine Umstellung auf die Sommerzeit hat. Nur hatten wir diese zeitlich zwei Wochen später festgemacht, nicht für die vergangene Nacht.

Vor unserer Weiterfahrt wollen wir noch hinunter zur Strandpromenade fahren, aber alle Zugangsstraßen sind aus Gründen, die sich uns nicht erschließen, gesperrt. So machen wir uns sofort auf den Weiterweg.

Bis Caleta Hornos verläuft die Panamericana in dem schmalen Streifen zwischen Pazifik und Küstengebirge, dann biegt sie ins Landesinnere ab. Der Küstennebel löst sich auf, die Luft wird warm und trocken. Wir haben heute einen Abstecher ins Landesinnere vorgesehen. Etwa 150 Kilometer nördlich von La Serena verlassen wir die Panamericana und folgen einer einsamen Stichstraße gen Osten bis nach La Silla.

La Silla (dt.: Der Sattel) ist das erste Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) und liegt auf dem gleichnamigen, 2400 m hohen Berg. Nach langer Suche nach einem geeigneten Standort wurde im Jahre 1969 die Sternwarte auf La Silla eröffnet. Mehrere Observatorien für den optischen und infraroten Spektralbereich bieten aufgrund der hier besonders sauberen und trockenen Luft und der fehlenden Lichtverschmutzung ausgezeichnete Beobachtungsbedingungen.

Links und rechts der Straße, auf der uns kaum ein Auto begegnet, befinden sich riesige Felder mit Solarpaneelen, gegen die sich unsere deutschen Pendants winzig ausnehmen. Schon von weitem ist die auf einem Bergrücken liegende Anlage von La Silla gut zu erkennen. Leider sind wir einen Tag zu spät dran, an jedem Samstag kann die Sternwarte besichtigt werden. So bleibt uns nur, von außen einen Blick auf die beeindruckenden und streng bewachten Bauwerke zu nehmen.

La Silla, das erste Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO)

Zurück zur Panamericana, wir haben heute noch einige Kilometer vor uns. Immer wieder schlängelt sich die Straße in kühnen Kurven durch die Berge. Die Ruta 5 ist die Hauptverkehrsader Chiles, aber trotz des regen Verkehrs ist das Fahren relativ entspannt, was nicht zuletzt an der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 Kilometer pro Stunde liegt, die von den meisten Fahrern respektiert wird. Im Abstand von etwa 120 Kilometern befinden sich Mautstationen (Peaje), an denen man sowieso stoppen muss.

Wir passieren Vallenar, die Berge östlich der Ruta 5 werden zusehends höher, wir bekommen die ersten Vier- und Fünftausender zu Gesicht. Bei der Regionalhauptstadt Copiapó verdunkelt sich plötzlich der Himmel, die Sicht sinkt stellenweise bis auf unter 20 m. Alle fahren sehr langsam und vorsichtig, wir sind mitten in einem ausgewachsenen Sandsturm. Es ist eine unheimliche Stimmung. Aber so schnell, wie er gekommen ist, verschwindet der Spuk auch wieder, nach 20 Minuten ist alles vorbei.

Sandsturm bei Copiapó

Kurz nach Copiapó biegt die Panamericana in Richtung Westen ab und führt wieder an die Küste, die wir bei der kleinen Hafenstadt Caldera erreichen. In einem kleinen Restaurant am Wasser bestellen wir eine Tasse Kaffee. Die wir auch erhalten. In Form einer Tasse heißen Wassers und eines Tütchens Löskaffee. Wir sind uns einig, dass hier gastronomisch noch viel Luft nach oben ist.

Nun sind es noch knapp 100 Kilometer bis zu dem kleinen Küstenort Chañaral, den wir kurz vor Sonnenuntergang erreichen. Im Hotel Mare di Luna haben wir ein Zimmer gebucht. Es ist ein kleines, einfaches, aber sauberes Hotel. Allerdings ist es überall sehr kühl, eine Heizung ist entweder nicht vorhanden oder außer Betrieb.

Sonnenuntergang bei Chañaral

Chañaral – Nationalpark Pan de Azúcar – Taltal

Montag, 9.September 2019

Unterwegs im Nationalpark Pan de Azúcar

Chañaral – Nationalpark Pan de Azúcar – Taltal, 184 km

Im Frühstücksraum ist es unangenehm kalt, wir ziehen unsere dicken Jacken an, aber die wenigen Hotelgäste nehmen es gelassen. Üppig ist das Frühstück auch nicht, aber wir werden satt. Danach begeben wir uns in den netten kleinen Küstenort Chañaral, um einige Geschäfte zu erledigen. In der Bank müssen wir zum Geldumtausch eine Nummer ziehen, man fühlt sich an Behördengänge in Deutschland erinnert. Supermarkt, Apotheke, dann können wir uns den angenehmen Dingen widmen.

Heute steht ein Besuch des Nationalparks Pan de Azúcar (Zuckerhut) auf dem Programm. Der Nationalpark liegt etwa 30 Kilometer nördlich von Chañaral und wurde 1985 gegründet. Das etwa 44.000 Hektar große Gebiet liegt an der Pazifikküste und lebt von der Feuchtigkeit der Nebel, die sich hier oft bilden, bekannt ist es für die etwa 20 Kakteenarten, die hier gedeihen.

Eine Bischofit-Piste führt durch den gesamten Nationalpark. Bischofit ist ein magnesiumhaltiges Mineral, die damit gefertigten Pisten sind sehr eben, bei Nässe aber vermutlich unangenehm glatt. Im Nationalpark treffen wir nur wenige Menschen, am Strand sind ein paar einsame Angler zugange. Im Sand finden wir einige Jakobsmuscheln und Krabbenpanzer. Am Himmel zeigen sich eindrucksvolle Wolkenformationen, sog. Wolkenstraßen, die aus bänderförmigen Cumulus-Wolken bestehen.

Isla Pan de Azúcar

Die Caleta Pan de Azúcar, eine kleine Fischersiedlung, liegt noch im Winterschlaf. Im Sommer kann man hier offensichtlich kleine Hütten mieten. Wir unternehmen eine kleine Wanderung durch die Quebrada Agua Chica, die bis hinauf zum Aussichtspunkt Mirador Pan de Azúcar führt. Wieder einmal sind wir allein, bis auf ein einzelnes Guanaco, welches uns auf fast dem gesamten Weg begleitet. Ständig äugt es zu uns herüber, stets gebührenden Abstand haltend. Am Wegesrand stehen viele der prächtigen Kakteen, für die der Park bekannt ist. Dann erreichen wir den Aussichtspunkt, der einen schönen Blick auf große Teile des Parks bietet, vor allem auf die Isla Pan de Azúcar mit dem Zuckerhut.

Kakteen im Pan de Azúcar
Einsames Guanaco
Am Mirador Pan de Azúcar

Die Bischofit-Piste wendet sich nun nach Nordost, die Landschaft weitet sich. Eine felsige Schlucht endet an einer Eisenkette, gern wären wir mit unserem 4WD-Pickup noch weitergefahren, aber wir respektieren die Sperrung. Irgendwann, nach einigen engen Kurven, mündet die Bischofit-Piste wieder in die Panamericana Norte. Bei Las Bresas verlassen wir die Ruta 5 und fahren wieder in Richtung Küste, da wir in dem kleinen Küstenort Taltal unser nächstes Quartier gebucht haben.

Wieder zurück auf der Panamericana Norte

Wir stehen vor einem sehr schmalen Haus, und wieder einmal vor verschlossener Tür. Klingeln und Klopfen hilft nicht, und da sich längere Zeit nichts regt, beginnen wir schon Plan B zu schmieden. Doch plötzlich löst sich unser Problem in Wohlgefallen auf, die ganze Familie der Hotelbetreiber kommt vom Großeinkauf zurück.

Unsere Buchung vom Vorabend hatte uns ein kleines Familienhotel versprochen. Das schmale Haus, vor dem wir stehen, lässt nicht vermuten, was sich hinter der Fassade verbirgt. Ein langer schmaler Flur ist Zugang zu vielleicht 15 kleinen Zimmern, mit zwei Koffern in der Hand könnte man den Gang nicht durchschreiten. Unsere Zimmer – Andi bekommt diesmal ein eigenes – sind wirklich winzig, zwischen Schrank und Bett kann man sich kaum drehen. Es mutet eher wie eine Bauarbeiterunterkunft an. Aber alles ist sauber, mehr können wir nicht erwarten.

Im Hinterhof sehen wir zwei Enduros mit deutschem Kennzeichen stehen, sie gehören einem Pärchen, das – so erfahren wir später – seit zwei Monaten in Südamerika unterwegs ist. Da beide noch im Berufsleben stehen, haben sie ein Sabbatical genommen und wollen, so die Planung, ein Jahr lang unterwegs sein. Wir verabreden uns, im Ort gemeinsam zu Abend zu essen.

In Brasilien, so erzählen die beiden, seien sie gestartet, längere Zeit bei Freunden gewesen, und dann durch Argentinien gereist. Das beste Essen gab es übrigens, nicht wie zu erwarten, in Argentinien (Steaks!), sondern in Brasilien. Über den Paso de San Francisco, der ihnen und ihren Enduros aufgrund der Höhe (4700 m) einiges abverlangt habe, seien sie nach Chile gekommen. Bei der Auswahl des Essens in dem kleinen Restaurant achten sie sehr auf die Preise, sie hätten einen strengen Plan, was pro Tag ausgegeben werden dürfe. Verständlich, wenn man ein Jahr lang unterwegs sein will.

Da die beiden beabsichtigen, morgen in aller Frühe aufzubrechen, verabschieden wir uns nach der Rückkehr ins Hotel vorsorglich und wünschen eine gute Weiterreise. Wir besichtigen noch kurz Andis Zimmer, es hat ein wenig die Anmutung einer Gefängniszelle, noch kleiner als das unsrige und mit einem winzigen Fenster knapp unter der Zimmerdecke. Aber eine Nacht werden wir überstehen.


Taltal – El Paranal – Mano del Desierto – Calama

Dienstag, 10.September 2019

Kunst und Wissenschaft in der Atacama

Taltal – El Paranal – Mano del Desierto – Calama, 488 km

Einen Frühstücksraum gibt es auch hier nicht, dafür muss das Wohnzimmer der Hotelbetreiber herhalten. Und wir sehen, dass sie selbst kaum mehr Komfort haben, als in den Zimmern geboten wird. Kaffeetasse und Besteck, statt der Teller gibt es Servietten, möglicherweise sind Teller Mangelware. In solchen Situationen merkt man einmal mehr, wie gut es uns in Deutschland geht. Luxusprobleme kennen die einfachen Menschen hier nicht, alles ist verdammt echt.

In Zentrum Taltals gibt es eine historische Eisenbahn zu besichtigen, die Ferrocarril de Taltal (FCT). Anfang des 20.Jahrhunderts verkehrten Güterzüge, die Nitrat über die Küstenkordillere und durch die Atacama nach Taltal transportierten. Einige Überbleibsel aus dieser Zeit gibt es hier noch zu besichtigen.

Unweit der Straße, die uns später wieder zur Panamericana führen wird, liegt eine Sehenswürdigkeit, die wir uns nicht entgehen lassen wollen. El Paranal ist ein weiteres Observatorium der Europäischen Südsternwarte ESO. Es liegt auf dem Gipfel des Cerro Paranal in knapp 2700 m Höhe. Genaugenommen wurde der Gipfel des Berges Anfang der 90er Jahre durch Sprengung abgetragen, um ein Plateau für die große Anlage zu schaffen. El Paranal ist Standort des Very Large Telescope (VLT), des Very Large Telescope Interferometer (VLTI) sowie der Survey Telescopes VISTA und VST. Die Wetterbedingungen hier oben sind für astronomische Beobachtungen ähnlich gut wie bei La Silla, die Luft ist außerordentlich trocken und ruhig. Leider ist auch heute kein besuchsoffener Samstag, so müssen wir uns darauf beschränken, die eindrucksvolle Anlage von außen zu bestaunen.

Das ESO-Observatorium El Paranal

Weiter geht es in Richtung Norden, bis wir die Panamericana Norte wieder erreichen. Eigentlich müssten wir nach links abbiegen, aber von unseren beiden Bekannten vom Vorabend hatten wir den Tipp bekommen, auf der Ruta 5 ein kurzes Stück in Richtung Süden zurückzufahren. Schon von weitem machen wir die ungewöhnliche Erscheinung aus, die in Sichtweite neben der Panamericana liegt, die Mano del Desierto, die Hand der Wüste. In unserem Reiseführer hatten wir keinen Hinweis auf dieses Monument gefunden, das den Abstecher auf jeden Fall lohnt. Der chilenische Bildhauer Mario Irarrázabal hat die etwa 11 m hohe Betonskulptur geschaffen, eine Riesenhand, die im Wüstenboden zu versinken droht. Es gibt verschiedene Deutungen des Sinns dieser Skulptur, die für mich schlüssigste ist eine Erinnerung an die Kraft der Natur und eine Mahnung an uns Menschen, mit unserer Umwelt respektvoll umzugehen.

Mano del Desierto, die Wüstenhand

Wieder zurück auf der Panamericana geht es weiter nordwärts, die Küsten- und Provinzhauptstadt Antofagasta umfahren wir östlich. Die Straße wendet sich nun nach Nordosten. Wir fahren durch eine oft trostlose, staubtrockene Landschaft. Hier soll es Landstriche geben, die seit 200 Jahren keinen Tropfen Regen gesehen haben. Sollte sich eine Regenwolke doch einmal hierher verirren, erreichen die aus ihr fallenden Tropfen vermutlich nicht den Erdboden. Viele Windräder und Solarfelder säumen die Panamericana, anders als in Deutschland ist hier mit hohen Erträgen aus regenerativen Energiequellen zu rechnen. Riesige Trucks abseits der Panamericana ziehen lange Staubfahnen hinter sich her, Chile ist reich an Bodenschätzen. Ziel der Trucks sind riesige Kupferminen, die nicht nur viel Geld in die Kassen der Eigner und des Staates spülen, sondern auch verantwortlich sind für beträchtliche Umweltzerstörung.

Schließlich taucht aus dem Dunst in der Ferne die Bergarbeiter- und Minenstadt Calama auf, dahinter die ersten Sechstausender der nördlichen Atacama. Unser Reiseführer hatte nichts Gutes über Calama zu berichten, es sei ein staubiges, unattraktives Nest, das man schnell hinter sich lassen könne. Und erneut stellen wir fest, dass nicht alles, was in Reiseführern geschrieben steht, unumstößliche Wahrheit sein muss. Diesmal sind wir positiv überrascht.

Die Minenstadt Calama, im Hintergrund die ersten Sechstausender der nördlichen Atacama

Calama hat zwar kulturell nichts zu bieten (wie z.B. Valparaíso), ist aber eine beschauliche, saubere und durchaus attraktive Kleinstadt. Und als wir unser kleines, am Vorabend gebuchtes Hotel Atankalama erreichen, wissen wir sofort, dass wir diesmal alles richtig gemacht haben. Wir dürfen ein, gemessen an den letzten Unterkünften, komfortables Zimmer unser eigen nennen, der kleine, üppig begrünte Innenhof lädt zum Verweilen ein und die Hotelmanagerin, eine Frau mittleren Alters, berät uns auf angenehm nette und sachkundige Weise, was man von Calama aus unternehmen kann. Spätestens nach dem schmackhaften Abendessen mit einem guten Wein sind wir uns einig, dass wir Calama nicht, wie ursprünglich geplant, am nächsten Tag wieder verlassen werden.


Calama – Ollagüe und zurück

Mittwoch, 11.September 2019

Vulkane und Salzseen – Traumlandschaften der nördlichen Atacama

Calama – Ollagüe und zurück, 400 km

Auf Anraten unserer netten Hotelmanagerin machen wir uns heute auf den Weg nach Ollagüe, einem – wie wir später sehen werden – staubigen Grenzort zu Bolivien. In unserem Reiseführer ist diese Route gar nicht verzeichnet, am Ende des Tages werden wir wissen, dass sie zu unseren bisher schönsten Touren in Chile gehört. Eine Traumstraße, die diese Bezeichnung zu Recht verdient. Zudem sind hier kaum Touristen unterwegs.

Kurz hinter Calama nehmen wir einen Blick in das Tal des Río Loa. Beidseits des Wassers finden sich schmale Vegetationsstreifen, die offenbar auch bewirtschaftet werden, dahinter beginnt wieder die Wüste. Zwei Straßenhunde lungern gelangweilt am Rand des steilen Abbruchs, sie nehmen kaum Notiz von uns.

Aus der Ferne grüßen schon die ersten Vulkane, alles Fünf- und Sechstausender. Die Zwillingsvulkane San Pedro (6145 m) und San Pablo (6102 m) machen den Anfang, wir hatten sie gestern schon während der Anfahrt auf Calama gesehen. Es folgen der Cerro Paniri (5946 m) und der Cerro Palpana (6023 m), dessen Gipfel bei einer der letzten Eruptionen weggesprengt wurde.

Wir hatten die heutige Tour auch als erste Akklimatisation an die noch ungewohnte Höhe vorgesehen, der höchste Punkt unserer heutigen Fahrt wird bei 3950 m liegen. Die Straße windet sich in eleganten Kurven langsam in die Höhe, bald taucht der bunte Vulkan Cerro del Azufre (5846 m) auf. Das gelbe Ichu-Gras, auch Peruanisches Federgras genannt, bestimmt die Vegetation, ab und zu sehen wir eine Herde Guanakos in der Ferne. Sie äugen immer wieder zu uns herüber, halten aber respektvoll Abstand.

Ichu-Gras dominiert die Vegetation

Dann taucht der erste Salzsee, der Salar de Ascotán (3740 m) auf, eine kleine Windhose tänzelt in seiner Mitte hin und her. Eingerahmt wird der Salar von Cerro Aranal (5647 m) und Cerro Ascotán (5473 m). Es gibt hier wohl kaum einen Berg, der nicht vulkanischen Ursprungs ist. Immer wieder sehen wir kleinere Herden von Flamingos auf den Salaren, sie gründeln eifrig nach Nahrung. Ihr zartes Rosa passt farblich hervorragend in die Landschaft.

Flamingos auf dem Salar de Ascotán

Ab und zu kreuzen Bahngleise unsere Straße, hier verkehrt die Ferrocarril de Antofagasta a Bolivia (FCAB), eine private Eisenbahnstrecke, die Antofagasta im Süden und La Paz (Bolivien) im Norden miteinander verbindet. Sie dient hauptsächlich dem Güterverkehr, schließlich befinden sich im Norden Chiles viele Bergbauminen, die ver- und entsorgt werden müssen.

Gleise der FCAB über den Salar de Carcote

Trotz eines nahezu wolkenlosen Himmels bleiben die Temperaturen eher unterhalb der Wohlfühlgrenze, wofür ein scharfer Wind sorgt. Die Straße überquert immer wieder kleine Passhöhen, hinter jeder öffnen sich neue Perspektiven. Bald taucht der Salar de Carcote (3690 m) mit der Laguna Verde, einer kleinen Brackwasserlagune auf. Die Vulkane Aucanchilca (6176 m) und Ollagüe (5868 m) dominieren nun das Landschaftsbild. Knapp unterhalb des Gipfels des Ollagüe stößt eine Fumarole Rauchwolken aus.

Der Vulkan Ollagüe (5868 m) mit seiner Fumarole

Bald erreichen wir den Ort Ollagüe, Endpunkt unserer heutigen Fahrt. Im Gegensatz zu Calama ist Ollagüe wirklich ein staubiges Wüstennest, es hätte vielen Westernklassikern als Kulisse dienen können. Ollagüe ist Grenzort zu Bolivien, einige Lastwagen stehen am Kontrollhäuschen. Ein Zug der FCAB quert die Straße, der Wind treibt Sand, Staub und die Abgasfahne des Zuges vor sich her. Nach Ollagüe verirren sich vermutlich keine Pauschaltouristen.

Langsam wird es für uns Zeit, den Rückweg anzutreten. An der Capilla de Nuestra Señora de Urkupiña de Ascotán, der Kirche einer winzigen Bergarbeitersiedlung, machen wir kurz Halt. Ein paar bescheidene Häuser, ein Fußballfeld mit zwei Toren, die kleine Kapelle, das ist schon alles, was der Ort seinen Bewohnern zu bieten hat. Überall zeigen Haufen aufgeschütteten Salzes, dass hier tatsächlich noch geschürft wird. Für die Menschen muss es ein einfaches und hartes Leben ohne jeden Luxus sein.

Auf der Rückfahrt registrieren wir noch eine Art Abraumhalde, die auf Grund ihrer regelmäßigen geometrischen Form auffällt. Tatsächlich ist aber auch das ein kleiner Vulkan, der Poruña.

Auch ein Vulkan: der Poruña

Im letzten Tageslicht erreichen wir Calama und freuen uns schon auf ein gepflegtes Abendessen. Bei einem Glas chilenischen Weins lassen wir den ereignisreichen Tag ausklingen. Dank des Tipps unserer Hotelmanagerin haben wir eine Traumstraße erfahren, die wohl kaum ein Pauschaltourist so schnell zu Gesicht bekommt. Und unser Ziel für morgen steht schon fest: die Geysirfelder von El Tatio.


Calama – El Tatio und zurück

Donnerstag, 12.September 2019

Fahrt zu El Tatio, einem der höchstgelegenen Geysirfelder der Erde

Calama – El Tatio und zurück, 206 km

Um vier Uhr morgens klingelt für uns der Wecker, wir wollen zum Sonnenaufgang am Geysirfeld von El Tatio sein. Im Licht der aufgehenden Sonne sollen die Dampfwolken der Geysire besonders eindrucksvoll sein.

Bei El Tatio handelt es sich um das größte Geysirfeld der Südhalbkugel und um eines der höchstgelegenen der Erde. Für uns Grund genug, dieses Naturschauspiel in Augenschein zu nehmen.

Als wir in Calama starten, ist es noch dunkel. El Tatio liegt östlich von Calama – und deutlich höher. Auf den ersten knapp 50 Kilometern windet sich die Straße von 2900 m auf fast 4500 m in die Höhe. Unser Nissan schnurrt leise und problemlos vor sich hin, wie uns die Höhenluft bekommen wird, werden wir noch sehen.

Gegen sieben Uhr erreichen wir El Tatio, einige Autos stehen schon am Eingang und warten auf Einlass. Sie sind vermutlich alle aus San Pedro de Atacama hierher gekommen, El Tatio ist eine der Sehenswürdigkeiten, die man dort bei einer der zahlreichen Agenturen buchen kann.

Es ist ziemlich kalt, fast -10 °C. Wir sind froh, Mütze und Handschuhe mitgenommen zu haben. Nachdem wir unser Ticket erworben haben, begeben wir uns auf das eingezäunte Areal. Eine junge Frau hat offenbar Probleme mit der ungewohnten Höhe, sie sitzt am Boden und wird von ihren Begleitern umsorgt. Auch wir spüren die dünne Höhenluft, schnelle Bewegungen führen sofort zu Kurzatmigkeit, aber ansonsten haben wir keine Probleme.

Noch steht die Sonne unterhalb des Horizonts. Zahllose Geysire dampfen und brodeln vor sich hin. Auf Warnschildern wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man den Geysiren nicht zu nahe treten sollte, der Boden könnte Hohlräume haben und es besteht die Gefahr des Einbrechens. Außerdem kann ein Geysir auch unerwartet starke Eruptionen zeigen. Das Wasser der rund 80 echten Geysire, die es hier gibt, hat eine Temperatur von etwa 85°C, was der Siedetemperatur in dieser Höhe entspricht. Es hat tatsächlich schon tödliche Unfälle gegeben, wenn Leute bei dem Versuch, ein Selfie vor dem Geysir zu machen, in dessen kochendes Wasser gefallen sind. Tragisch, aber man ist geneigt zu sagen: selber schuld. Als wären viele Naturphänomene nicht spektakulär genug, muss man selbst mit aufs Bild. In Abwandlung eines Ausspruchs von Karl Valentin“Es ist alles schon fotografiert worden, nur leider noch nicht mit jedem”.

Langsam zaubert die Sonne die ersten Lichtstrahlen auf die umliegenden Berge. Wir gehen vorsichtig zwischen den vielen Geysiren und Schlammtöpfen hindurch. Es geht ja nicht nur darum, Gefahr von sich selbst abzuwenden, man sollte auch daran denken, die empfindliche Natur zu schützen und für die Nachwelt zu erhalten.

Endlich steigt die Sonne über den Bergkamm und beleuchtet die zahlreichen Wasserdampfsäulen, eine wahrhaft eindrucksvolle Szenerie. Wir genießen die wärmenden Sonnenstrahlen. Je höher die Sonne aber steigt, desto unscheinbarer werden die vielen Rauchsäulen der Geysire. Es hat sich tatsächlich gelohnt, so früh aufzustehen.

Die Geysire von El Tatio

Ein wenig abseits des Geysirfeldes befindet sich ein von den heißen Quellen gespeister Pool, einige Besucher tummeln sich darin. Wir wussten nichts von dieser Badegelegenheit. Gegen elf Uhr verlassen wir El Tatio.

Für die Rückfahrt wählen wir einen etwas anderen Weg. Immer wieder sehen wir kleine Herden von Guanacos neben der Straße, zum ersten Mal auch ein paar Lamas, die domestizierten Verwandten der GuanacosLamas haben in der Regel bunte Schleifchen im Fell, vermutlich, um ihren Besitzer anzuzeigen. Dann wieder stehen ein paar wilde Esel auf der Straße, sie beobachten uns genau, scheinen aber ansonsten wenig beeindruckt von unserer Anwesenheit.

Wilde Esel

Eine kleine, staubige Straße zweigt ab zur Laguna Chiu Chiu (Laguna Inca Coya). Neben der kleinen Lagune stehen ein paar verfallene Gebäude, in der Nähe grasen ein paar Lamas. Eine friedliche Szenerie, wäre da nicht ziemlich viel Müll am Rand der Lagune.

Laguna Chiu Chiu (Laguna Inca Coya)

Wir fahren weiter bis zu dem kleinen Ort Chiu Chiu, wir wollen uns die aus der Kolonialzeit stammende Kirche anschauen. Die dicken weißen Lehmmauern leuchten in der Nachmittagssonne. Wir müssen allerdings noch ein wenig warten, bis das kleine Tor in der Umfriedung geöffnet wird. Das Besondere an dieser Kirche sind die aus Kaktusholz gefertigten Decken und Türen, die Einzelteile werden mit Lederriemchen anstelle von Nägeln zusammengehalten.

Die kleine Kirche von Chiu Chiu

Zurück in Calama müssen wir noch ein paar Einkäufe erledigen, der Supermercado ist riesig, wir brauchen geraume Zeit, bis wir alles, was wir benötigen, gefunden haben. Pünktlich zum Abendessen sind wir zurück in unserem kleinen gemütlichen Domizil. Es ist unser dritter Abend hier, die drei Gerichte auf der Speisekarte haben wir nun abgearbeitet. Am ersten Abend gab es für jeden von uns ein Glas guten chilenischen Rotweins zum Essen, am zweiten Abend bekamen wir nachgereicht, heute steht gleich eine ganze Flasche auf dem Tisch. Die Chefin verabschiedet sich persönlich von uns, sie müsse am nächsten Tag in aller Frühe nach Santiago. Wir danken ihr für den angenehmen Aufenthalt in ihrem kleinen Hotel, aber für uns wird es Zeit, am nächsten Tag weiterzuziehen, so schön es hier auch war.


Calama – San Pedro de Atacama

Freitag, 13.September 2019

Fahrt von Calama nach San Pedro de Atacama, Valle de la Luna, Valle de la Muerte

Calama – San Pedro de Atacama, 112 km

Schweren Herzens geben wir unser schönes “Basislager” in Calama auf. Wir verlassen die Stadt auf der Ruta 23 in Richtung Südosten. Die ersten 60 Kilometer unserer Fahrt sind recht eintönig. Nackter, graubrauner und fast vegetationsloser Boden bestimmt das Landschaftsbild. Riesige Solarfelder und zahlreiche Windräder zeugen von den enormen Möglichkeiten in der Atacama, Wind und Sonne für die Energieerzeugung zu nutzen. Und auch davon, dass Chile auf diesem Gebiet unserem kleinen Deutschland um einiges voraus zu sein scheint.

Abseits der Straße befinden sich offenbar zahlreiche Minen, die Staubfahnen der gewaltigen, scheinbar ins Nichts fahrenden Lastzüge zeugen davon. Ab und zu sehen wir wieder Animitas am Straßenrand, die kleinen Gedenkstätten für die Verkehrsopfer der Atacama. Und wieder fragen wir uns angesichts der oft kilometerlangen schnurgeraden Straßen, wie um alles in der Welt hier so etwas hatte passieren können.

Animitas am Straßenrand

Fast unmerklich steigt die Straße von etwa 2300 m in Calama bis auf fast 3500 m an. Am höchsten Punkt angekommen, hat man einen grandiosen Blick auf das etwa 1000 m tiefer gelegene San Pedro de Atacama und die dahinter liegenden Berge des bolivianischen Altiplano. Ein Berg in dieser beeindruckenden Kette von Fünf- und Sechstausendern sticht besonders hervor: es ist der schöne, ebenmäßige Kegel des Vulkans Licancabur (5920 m), der genau auf der Grenze zwischen Chile und Bolivien liegt. Den Vulkankegel sieht man praktisch von jedem Punkt San Pedros aus.

Bevor es in einer langen Geraden hinab nach San Pedro geht, machen wir einen kurzen Stopp bei der direkt neben der Straße liegenden Cordillera de la Sal. Es ist ein Gebirgszug vor der Senke, in der San Pedro de Atacama liegt. Tektonische Aktivitäten im Salar de Atacama haben diese eindrucksvolle Karstlandschaft mit Salzausblühungen und Salzhöhlen geschaffen. Die seltenen Regenfälle haben bizarre Oberflächenformen modelliert. Auf Geologen muss diese Landschaft wie ein aufgeschlagenes Lehrbuch wirken.

Cordillera de la Sal

In San Pedro angekommen, parken wir nahe des Zentrums. Bisher sind wir auf unserer Reise nur wenigen Touristen begegnet, hier in San Pedro ändert sich das schlagartig. San Pedro war bis in die Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts ein unbedeutendes Bergdorf, ist aber seitdem zum touristischen Zentrum der gesamten Region geworden. Heute hat San Pedro etwa 11.000 Einwohner, die meisten von ihnen leben vom Tourismus.

In den staubigen Gassen sind vor allem viele junge Leute aus aller Welt unterwegs, die Lehmziegelhäuser beherbergen einfache Unterkünfte, Touranbieter, Restaurants und Internetcafés. Insgesamt herrscht eine relativ entspannte Atmosphäre. Wir schlendern durch die Gassen und suchen nach einem Anbieter, der uns auf einer mehrtägigen Tour zu den Highlights auf dem bolivianischen Altiplano bringt. Bei Towonda werden wir schließlich fündig, übermorgen soll es losgehen. Wir freuen uns schon auf Laguna VerdeLaguna Colorada und natürlich den Salar de Uyuni.

Dann machen wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Quartier, das wir tags zuvor gebucht hatten. Die Suche gestaltet sich wieder einmal schwierig, an der angegebenen Adresse ist nichts zu entdecken, was wie eine Pension aussieht. Nur geschlossene, übermannshohe eiserne Tore ohne Schild oder Klingel. Also versuchen wir unser Glück auf der Rückseite der eingefriedeten Grundstücke, und nach geraumer Zeit können wir endlich eine junge Frau mit ihrem Baby ausmachen. Dem Aussehen nach handelt es sich um eine Asiatin, die zudem ein noch schlechteres Spanisch spricht als wir. Nach längerem Hin und Her, zum Teil mit Händen und Füßen, stellen wir erleichtert fest, dass wir an der richtigen Adresse sind. Umso erfreulicher ist dann das, was wir vorfinden. Es handelt sich um eine kleine, relativ neue Anlage von Ferienhäusern mit Swimming Pool und einem kleinen Speisesaal für Selbstversorger. Wieder einmal haben wir es gut getroffen. Den Swimming Pool allerdings werden wir wegen der noch empfindlich kühlen Temperaturen nicht nutzen.

Nach einer ausgiebigen Brotzeit brechen wir am späten Nachmittag auf, um den Sonnenuntergang im Valle de la Luna (Mondtal) zu erleben. Allerdings werden wir dort nicht eingelassen, wir hätten tags zuvor buchen müssen. So beschließen wir, alternativ dem Valle de la Muerte (Tal des Todes, auch Valle de MarteTal des Mars‘) einen Besuch abzustatten. Eine gute Entscheidung, denn hier werden wir vermutlich auf deutlich weniger Menschen treffen.

Das Valle de la Muerte zeigt ähnliche geologische Strukturen wie die, die wir am Vormittag schon sahen, gehört es doch auch zur Cordillera de la Sal. Wir kommen an einer großen Sanddüne vorbei, auf der sich junge Leute mit Surfbrettern vergnügen. Unser Ziel aber ist eine Hochebene, von der aus man einen fantastischen Blick auf die Umgebung und vor allem auf die hohen Berge des Altiplano hat. Eine gute halbe Stunde zu Fuß ist es noch bis dorthin.

Auf dem Hochplateau haben sich schon einige Leute eingefunden, aber von Gedränge ist zum Glück keine Spur. Langsam neigt sich die Sonnen dem Horizont zu. Anders als bei gewöhnlichen Sonnenuntergängen müssen wir hier zwei Richtungen in Blick haben. Denn die untergehende Sonne beleuchtet auf der einen Seite die Wolken von unten, auf der anderen die Bergkette des Altiplano in eindrucksvoller Weise. Es ist faszinierend zu beobachten, wie die dunklen Schatten langsam die Berghänge hinaufkriechen. Über den Bergspitzen hängen eindrucksvolle Cumulus-Wolken. Zudem geht der Sonnenuntergang allmählich in einen Mondaufgang über. Eine unvergessliche, fast gespenstische Szenerie.

Sonnenuntergang im Valle de la Muerte
Die Berge des Altiplano kurz vor Sonnenuntergang
Mondaufgang über den Bergen des Altiplano

Als die Sonne vollständig hinter den Bergen im Westen verschwunden ist und das Dämmerlicht schnell schwindet, kommen ein paar Reiter auf dem Plateau an. Wir hingegen machen uns langsam an den Abstieg. Wir fahren zurück in unser kleines Refugium und lassen den ereignisreichen Tag noch einmal Revue passieren.


San Pedro de Atacama – Laguna Miscante und zurück

Samstag, 14.September 2019

Fahrt zu den Vulkanen südöstlich von San Pedro de Atacama

San Pedro de Atacama – Laguna Miscanti und zurück, 248 km

Am Vormittag schauen wir noch einmal bei unserem Touranbieter Towonda vorbei, um die letzten Modalitäten unserer Fahrt nach Bolivien zu klären. Bevor es dann morgen für mehrere Tage auf das Altiplano geht, wollen wir uns noch ein wenig an die Höhe gewöhnen. Von San Pedro de Atacama aus führt die Ruta 23 in Richtung Südost an mehreren Vulkanen vorbei zur Laguna Miscanti, die nördlich des Vulkans Miñiques gelegen ist. Die Straße führt bis auf eine Höhe von knapp 3900 m, die letzten Kilometer bis zur Laguna Miscanti (4100 m) sind unbefestigte Piste.

In Toconao legen wir einen Stopp ein. Das kleine Dorf mit etwa 800 Einwohnern wurde im Kolonialstil aus Vulkangestein erbaut und ist bekannt für die vielen ortsansässigen Künstlerateliers. Wer nach Souvenirs aus dem chilenischen Norden sucht, wird hier sicher fündig. Im Zentrum des Ortes befindet sich die kleine Kirche San Lucas mit ihrem separat stehenden Glockenturm.

Der Kirchturm San Lucas in Toconao

Wir besuchen den kleinen Friedhof des Dorfes. Hier finden sich unterschiedlichste Grabstätten, deren teilweise aufwändige Gestaltung die Bedeutung des Verstorbenen zu Lebzeiten erahnen lässt. Daneben aber stecken aber auch schmucklose Holzkreuze im staubigen Boden, die vermutlich armen Teufeln gehören, die hier ihre letzte Ruhestätte fanden.

Der Friedhof von Toconao

Wir verlassen Toconao in südlicher Richtung. Östlich der Straße sind zahlreiche Vulkane wie an einer Perlenkette aufgereiht. Immer wieder ziehen von den Berghängen Schluchten herab, sog. Quebradas. Beidseits der Straße liegt eine dünne Schneedecke, wir sind nun in einer Höhe von fast 4000 m. Irgendein Witzbold hat am Straßenrand einen mannshohen Schneemann gebaut, ein Verkehrsleitkegel bildet seine Nase. Zwischen Socaire und Toconao überqueren wir den Wendekreis des Steinbocks (Tropic of Capricorn).

Schneemann
Am Wendekreis des Steinbocks

Hinter dem kleinen Ort Socaire wendet sich die Ruta 23 nach Süden und hält direkt auf das mächtige Massiv des Vulkans Cerro Pular (6233 m) zu. Die spärliche Vegetation des ockerfarbenen Bodens besteht aus dem anspruchslosen Ichu-Gras. Es ist eine grandiose Szenerie mit Blick auf die Hochanden an der Grenze zu Argentinien. Später biegt die Straße in östlicher Richtung ab, um hinüber in das Nachbarland zu führen, so weit aber wollen wir nicht fahren.

Der Vulkan Cerro Pular (6233 m)
Grandiose Hochanden-Szenerie

Schließlich kommen wir zu der Stelle, wo die unbefestigte Piste in Richtung Laguna Miscante abzweigt. Und müssen enttäuscht feststellen, dass sie gesperrt ist. Vermutlich wegen des vielen Schnees, der noch liegt, der für unseren Pickup aber sicher kein Problem wäre. Querfeldein wollen wir nicht fahren, um die empfindliche Natur nicht zu beschädigen. So müssen wir leider umkehren.

Die Piste zur Laguna Miscante ist leider gesperrt

Auf der Rückfahrt könnten wir noch eine andere unbefestigte Piste zum Salar de Aguas Calientes nehmen. Aber die ist so schlecht, dass wir Stunden bräuchten, um dorthin zu gelangen. Da wir am morgigen Tag früh aus den Federn müssen, kehren wir nach kurzer Zeit um.

Zurück in unserer Unterkunft in San Pedro packen wir unsere Sachen für die nächsten Tage auf dem bolivianischen Altiplano. Alles, was wir benötigen, wird in Rucksäcke und einen Seesack verstaut. Der Pickup kann auf dem Parkplatz der Ferienhausanlage stehenbleiben. Unser Zimmer allerdings müssen wir räumen, aber mit ein wenig Glück bekommen wir nach unserer Rückkehr ein anderes.


San Pedro de Atacama – Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Avaroa – Villa Mar

Sonntag, 15.September 2019

Fahrt zu den Naturwundern auf dem bolivianischen Altiplano

San Pedro de Atacama – Villa Mar, 235 km

Heute müssen wir früh aus den Federn, um sieben Uhr wird uns unser Touranbieter Towonda abholen. Bis dahin müssen wir unsere restlichen Sachen zusammenpacken, eine Kleinigkeit frühstücken und unseren Pickup auf dem vereinbarten Platz abstellen.

Mit leichter Verspätung trifft der Kleinbus von Towonda ein, der Fahrer stellt sich als Nino vor, ein freundlicher, dynamischer Enddreißiger mit Pferdeschwanz. Bevor es richtig losgeht, halten wir vor einem Hostal in San Pedro de Atacama, um noch zwei Mitreisende aufzunehmen. Anna und Michaela sind deutsche Studentinnen, die derzeit in Conceptión leben und studieren. Beide sprechen etwas spanischMichaela bereits recht gut. Das wird uns die Kommunikation in den nächsten Tagen erheblich erleichtern.

Wir verlassen San Pedro in östlicher Richtung. Einige Kilometer hinter der Stadt gibt es eine Straßensperre, eine Menge Autos stehen in der Schlange vor dem Schlagbaum. Nino meint, es werde wohl noch eine ganze Weile dauern. Kurzerhand stellt er vor dem Kleinbus einen Tisch auf und richtet ein Frühstück. Die Morgensonne spendet etwas Wärme bei unserem Frühstück im Stehen.

Gegen neun Uhr wird die der Schlagbaum geöffnet, nun muss alles schnell gehen. Die Passstraße nach Bolivien steigt jetzt steil an, im Eiltempo geht es von etwa 2400 m hinauf auf etwa 4500 m. Die Szenerie beidseits der Straße ist überwältigend. Wir nähern uns langsam den beiden Vulkanen Licancabur und Juriques, die wir die Tage zuvor ständig vor Augen hatten.

Kurz vor der bolivianischen Grenze macht die Straße eine scharfe Wendung nach Norden. An der Grenze zu Bolivien heißt es erst einmal wieder zu warten. Wir müssen verschiedene Grenzkontrollen über uns ergehen lassen. Seit Bolivien während des Salpeterkriegs von 1879 bis 1883 seinen einzigen Küstenabschnitt und somit den Zugang zum Meer an Chile verloren hat, sind sich die beiden Länder nicht mehr ganz grün. Besonders die Bolivianer kontrollieren sehr gründlich.

Nino übergibt uns an unseren bolivianischen Guide. In ein paar Tagen wird Nino uns hier wieder abholen. Unser Jeep, ein alter Toyota Landcruiser, hat schon bessere Zeiten gesehen, vieles funktioniert nicht mehr richtig. Vor allem die Fensterheber wären mir zum Fotografieren während der Fahrt wichtig gewesen, aber sie werden wohl die meiste Zeit geschlossen bleiben müssen. Bei dem vielen Sand und Staub hier oben auf dem Altiplano vielleicht nicht die schlechteste Idee.

Das Wetter ist uns gnädig, blauer Himmel mit weißen Wolken lässt die grandiose Landschaft noch eindrucksvoller erscheinen. Lediglich der kräftige Wind ist etwas unangenehm, aber hier oben auf gut 4300 m über dem Meeresspiegel muss man sich wohl damit abfinden.

Erste Station ist die Laguna Blanca, ein Salzsee, wie fast alle Gewässer hier oben. Flamingos gründeln im flachen Teil des Sees nach Nahrung. Es geht weiter zur berühmten Laguna Verde, die durch die in ihr enthaltenen Mineralien grün gefärbt ist. Da das Wasser arsenhaltig ist, gibt es in der Laguna Verde kein Leben. Der auf der Grenze zu Chile liegende Vulkan Licancabur thront über der Lagune und gibt zusammen mit ihr ein bekanntes Fotomotiv. Südöstlich schließt sich der etwas niedrigere Vulkan Juriques an. Zwischen den vielen Jeeps, die hier halten, streunt ein Andenfuchs umher, in der Hoffnung, dass etwas für ihn abfällt.

Laguna Blanca mit dem Vulkan Licancabur (5920 m)
Laguna Verde mit dem Vulkan Licancabur (5920 m)
Andenfuchs

Auf dem Weiterweg passieren wir die Desierto de Salvator Dalí, eine Wüste mit bizarren Felsformationen, die an die surrealen Werke des berühmten spanischen Künstlers erinnern. Dann erreichen wir die Águas Termales an der Laguna Salada. Eine der heißen Quellen ist eingefasst, wer mag, kann hier ein Bad nehmen. Wir verzichten, zwischen Selfie-Jägern und Influencern fühlen wir uns nicht wohl. Derweil ruft unser Guide zum Mittagessen, in einem kleinen Steinhaus hat er ein einfaches Mahl für uns gerichtet. Er ist also Fahrer und Koch zugleich. Die Verständigung mit unserem Guide ist allerdings nicht einfach, er spricht nur spanisch. So sind wir meist auf die Übersetzungen von Anna und Michaela angewiesen. Nach dem Mittagessen erkunden wir noch die nähere Umgebung.

Unser nächstes Ziel ist das Geysirfeld Sol de Mañana auf etwa 4850 m Höhe. Es ist weltweit eines der höchstgelegenen Geysirfelder. Überall faucht und zischt es, Schlammtöpfe blubbern vor sich hin. Der starke Wind treibt die Rauchfahnen und stinkenden Schwefelgase vor sich her, leichter Schneefall verleiht dem Ganzen eine surreale Note.

Sol de Mañana (4850 m)

Kurz nach dem Geysirfeld, auf dem Weg zu Laguna Colorada, passieren wir den mit 4920 m höchsten Punkt unserer Reise auf dem bolivianischen Altiplano. Bis zur Laguna Colorada ist es noch eine gute Stunde. Die rote Färbung der Lagune rührt von Bakterien her, unzählige Flamingos tummeln sich in dem flachen Gewässer.

Flamingos an der Laguna Colorada

Unser Guide drängt zum Aufbruch, die Dämmerung kündigt sich an. Wir haben noch fast drei Stunden Fahrt bis zu unserem Nachtquartier in Villa Mar vor uns. Viele Jeeps machen sich jetzt auf den Weg, deren Staubfahnen im Licht der untergehenden Sonne ein gespenstisches Bild zaubern.

Weiterfahrt in Richtung Villa Mar

Als wir bei völliger Dunkelheit in Villa Mar ankommen, stellt unser Guide fest, dass an der vereinbarten Adresse kein Quartier für uns vorhanden ist. Offenbar hat er oder seine Agentur vergessen, uns anzukündigen, und es ist alles schon belegt. Auch die nächsten Versuche, ein Nachtlager zu bekommen, schlagen erst einmal fehl. Langsam wird unser Guide unruhig. Also noch einmal zurück zur ersten Adresse, nach einigen Diskussionen, deren Inhalt sich uns nicht erschließt, beginnen hektische Räumaktionen. Irgendwo in dem kleinen Haus wird ein Zimmer für uns aufgetan und fünf Betten hineingetragen. Das Ehebett der Hausbesitzer scheint mit von der Partie zu sein. Schließlich steht unser Nachtlager, auch wenn es sehr eng zugeht.

Die Menschen hier oben auf dem Altiplano leben unter sehr einfachen Verhältnissen. Der Boden der Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Räumen des Hauses besteht aus grobem Kies (sic!). Aus dem Wasserhahn läuft nur ein schwaches Rinnsal, die Klospülung hat das gleiche Problem. Aber mit dem Erlös aus der Vermietung von Gästezimmern versuchen die Menschen, ihr einfaches Leben ein wenig erträglicher zu machen.

Weit nach Mitternacht steht in dem kahlen Aufenthalts- und Gemeinschaftsraum sogar noch ein Abendbrot für uns bereit, aber unser Appetit hält sich in Grenzen. Bald liegen wir in unseren improvisierten Betten. Wo unser Guide schläft, wissen wir nicht, vermutlich in seinem Jeep.


Villa Mar – Italia Perdida – Laguna Negra – Cañon de Alota – Alota – Julaca – Salzhotel “Don Carlos”

Montag, 16.September 2019

Bizarre Felsskulpturen, mystische Lagunen, verlassene Geisterstädte und der größte Salzsee der Erde

Villa Mar – Salzhotel “Don Carlos”, 186 km

Die Nacht war kurz und unruhig. Mindestens zehn Gäste mussten sich eine Toilette teilen. Der Gang dorthin auf dem mit Kies gefüllten Boden verlief mitnichten geräuschlos.

Wir stehen sehr früh auf. Der Morgen ist sonnig, aber kalt. Die Hausbewohner gehen bereits ihrem Tagesgeschäft nach. Erst jetzt bei Tageslicht sehen wir, dass hinter dem Dorf eine eindrucksvolle Mauer rotbrauner Felsen steht.

Dorfbewohner im Gespräch mit unserem Guide

Nach dem Frühstück drängt unser Guide zum Aufbruch, unser heutiges Ziel ist der berühmte Salar de Uyuni, und bis dahin gibt es noch ein paar weniger bekannte Sehenswürdigkeiten zu besuchen.

Erster Stopp ist die geologische Formation Italia Perdida (Verlorenes Italien). Seinen Namen verdankt dieser Ort einer Legende, nach der der (erste) europäische Besucher, ein Italiener, sich in der Wüste verirrte und starb. Felsformationen aus Sandstein wie Camel Rock und World Cup sind unschwer als solche zu erkennen. An einem der Felsen können wir in etwa 10 m Höhe sogar einen Bohrhaken ausmachen, Kletterer müssen diesem Ort also schon einen Besuch abgestattet haben.

Italia Perdida, Camel Rock

Weiter geht es zur Laguna Negra (auch Laguna Misteriosa). Auf dem Fußweg dorthin sehen wir einige grasende Lamas. Dieser Ort hat tatsächlich etwas mysteriöses, verwunschenes an sich. In der Lagune gibt es offenbar Fische, gespannt beobachten wir einen Wasservogel bei mehreren, allerdings erfolglosen Jagdmanövern.

Laguna Misteriosa

Nächster Stopp ist der Mirador Cañón de Alota (auch Cañón de la Anaconda). Vom Aussichtspunkt hat man einen grandiosen Blick in den Canyon. Der schmale Fluss, der sich am Grund des Canyons dahinschlängelt, ist von einem noch schmaleren, grünen Uferstreifen gesäumt und erinnert tatsächlich an eine Anakonda.

Cañón de la Anaconda

In Alota soll es ein Mittagessen geben. Unser Guide ist in einem der Häuser verschwunden, vermutlich, um es vorzubereiten. Wir lungern auf der staubigen Hauptstraße des kleinen Wüstenorts herum, die Sonne brennt unbarmherzig. Ein paar Lastzüge, ein Overlander Camper aus der Schweiz und einige, dem unseren ähnliche Jeeps sind die einzigen Autos, die wir zu Gesicht bekommen. Schließlich werden wir eingelassen, auf dem Tisch stehen Teller mit den üblichen Speisen: Reis, Hühnerfleisch, Tomaten, Gurken, Paprika. Diesmal ist gekochtes und hübsch aufgeschnittenes Ei dabei. Wir sind hungrig und greifen beherzt zu.

Der Gang zur Toilette gehört in Bolivien zu den weniger angenehmen Erfahrungen. Vor der Box bekommen wir (wenig) Toilettenpapier zugeteilt. Bisher stand aber zumindest ein Eimer mit Wasser neben dem Toilettenbecken, dieser fehlt nun. Es erschließt sich mir nicht, wie die Überreste der Verdauung zu beseitigen sind, aber ändern kann ich es nicht. Wasser zum Händewaschen: ebenfalls Fehlanzeige.

Nächste Station ist Julaca, ein ebenso staubiges Wüstennest wie Alota. Es liegt etwa 30 Kilometer südlich des Salar de Uyuni auf einer Höhe von 3665 m. Der Ort wäre die perfekte Kulisse für einen Westernklassiker. Julaca ist Bahnstation, einige Güterzüge stehen verlassen auf den Gleisen, ein alter Wasserkran diente in längst vergangenen Zeiten dem Befüllen von Dampflokomotiven mit Wasser. 

In the middle of nowhere: Julaca

Schließlich erreichen wir unser Tagesziel, das Salzhotel (Palacio de Sal“Don Carlos” in Puerto Chuvico am Rande des Salar de Uyuni. Das Hotel scheint relativ neu zu sein und ist mit Hilfe  quaderförmiger Ziegelsteine aus Salz errichtet, die Böden sind mit (salzhaltigem) Kies bedeckt, selbst die einfachen Möbel bestehen aus Salz. Die “Hotelzimmer” sind spartanisch ausgestattete, fensterlose, lediglich mit einem Oberlicht versehene Räume. Für die schätzungsweise 20 Touristen, die hier übernachten können, stehen zwei Toiletten zur Verfügung.

Wir beziehen schnell unsere Zimmer und brechen gleich wieder auf, da wir zum Sonnenuntergang noch hinaus auf den Salar de Uyuni wollen. Während der Fahrt über die riesige Salzebene erklärt uns unser Fahrer und Guide, dass die brettebene Piste zum Schnellfahren geradezu verleite, dass es aber sehr wichtig sei, stets die Augen offenzuhalten und auf versteckte, salzsumpfartige Stellen zu achten, die schon vielen Fahrzeugen zum Verhängnis geworden seien.

Irgendwo im weißen Nirgendwo stoppt unser Fahrer, wir steigen aus und sind beeindruckt von der eigentümlichen Schönheit dieser grandiosen Landschaft. Der Salar de Uyuni ist mit einer Fläche von über 10.000 Quadratkilometern und einer Mächtigkeit der Salzkruste von fast 100 m der größte Salzsee der Erde. In dieser riesigen, im Sonnenlicht gleißenden Salzpfanne gibt es nur zwei Inseln, eine davon werden wir am nächsten Tag besuchen.

Jetzt ist erst einmal Selfie Time. Unsere beiden Begleiterinnen tun das, was (fast) alle (jungen) Leute heutzutage tun: Selfies schießen, damit auch jeder weiß, dass man hier gewesen ist. Unser Guide macht sich den beiden jungen Frauen als Fotograf nützlich.

Selfie Time

Der Salar de Uyuni ist unter Selfie– und Instagram-Jägern besonders beliebt, und das hat einen einfachen Grund. Da in dieser endlosen weißen Weite jegliche Orientierungspunkte fehlen, lässt sich das Auge leicht in die Irre führen. Neben schon tausendfach gesehenen Fotos gibt es tatsächlich einige originelle. Da balancieren Menschen auf den zwischen zwei Bergschuhen gespannten Schnürsenkeln, sie tanzen auf einer Handfläche oder lugen aus Kochtöpfen hervor. Man sollte einmal die Bildersuche im Internet bemühen, da wird man schnell fündig.

Leider wird es heute nichts mit einem schönen Sonnenuntergang, die Sonne verschwindet bald hinter dicken Wolken am Horizont.

Sonnenuntergang auf dem Salar de Uyuni

Als es zu dämmern beginnt, drängt unser Guide zur Rückfahrt ins Hotel. Dort angekommen steht wenig später unser Abendessen bereit. Andi verzichtet, er hat Durchfall. Auch ich merke, dass irgendetwas nicht stimmt, habe ein flaues Gefühl in der Magengegend, aber da ich hungrig bin, esse ich ein wenig.

Später ereilt mich das gleiche Schicksal wie Andi, es folgt eine schreckliche Nacht mit Durchfall, Herzrasen und Albträumen. Das fensterlose Hotelzimmer (keine Frischluft) tut sein Übriges. Mehrfach während der Nacht muss ich die (oft besetzte) Toilette aufsuchen.


Salzhotel “Don Carlos” – Isla Incahuasi – Colchani – Uyuni – Villa Mar

Dienstag, 17.September 2019

Unterwegs auf dem größten Salzsee der Erde

Salzhotel “Don Carlos” – Villa Mar, 347 km

Am Morgen geht es Andi wieder etwas besser, mich hat es derweilen vollends ausgehebelt. Wir versuchen zu rekonstruieren, was die Ursache für unsere Malaise sein könnte. Da es den anderen in unserer Gruppe gut geht und Andi und ich die einzigen waren, die am Vortag in Alota die hübsch zurechtgemachten gekochten Eier gegessen hatten, steht der Übeltäter zweifelsfrei fest.

Eigentlich sollte uns unser Guide heute morgen wecken, damit wir rechtzeitig zum Sonnenaufgang draußen auf dem Salar de Uyuni sind. Aber er hat verschlafen, wir müssen ihn wecken. (Schlaf-)trunken wankt er aus seinem Zimmer. Er hat, erfahren wir später, am Abend im Hotel noch Freunde getroffen und wohl etwas zu tief ins Glas geschaut.

Hastig werden unsere Sachen im und auf dem Jeep verstaut, dann beginnt eine wilde Fahrt hinaus auf den Salzsee. Kurz vor Sonnenaufgang halten wir. Für uns Ältere: Staunen und Fotografieren, für die jungen Frauen: Selfie Time.

Sonnenaufgang auf dem Salar de Uyuni
Sonnenaufgang auf dem Salar de Uyuni

Weiter geht es zur Isla Incahuasi, der Kakteeninsel. Dort angekommen, holen wir das am Morgen ausgefallene Frühstück nach. Ich lehne dankend ab, versuche im Auto sitzend ein wenig zu schlafen.

Hauptattraktion der Isla Incahuasi sind die zahllosen hier wachsenden Kakteen der Art Leucostele atacamensis. Viele sind mehrere Meter hoch und bilden einen reizvollen Kontrast zum Hintergrund, dem in der Sonne gleißenden Salar. Für mich bedeutet der Besuch der Insel mit ihren vielen Stufen und unebenen Wegen eine ungewohnte Anstrengung, immer wieder muss ich mich setzen. Offenbar bin ich in Folge meines Durchfalls schon ziemlich dehydriert. Nur meiner jahrzehntelangen Routine als Fotograf ist es zu verdanken, dass trotzdem ein paar brauchbare Fotos entstehen.

Auf der Isla Incahuasi

Unsere Fahrt geht weiter über den Salar de Uyuni. Das Zechgelage der vergangenen Nacht fordert bei unserem Guide nun seinen Tribut, immer wieder fällt sein Kopf während der Fahrt (!) nach vorn und er in einen Sekundenschlaf. Alle seine warnenden Hinweise vom Vortag sind vergessen. Anna und Michaela sind (nicht unbegründet) beunruhigt, dass wir einen Unfall erleiden könnten. Michaela auf dem Beifahrersitz versucht permanent, den Fahrer in ein Gespräch zu verwickeln. Mehrmals muss sie ihn tatsächlich anstupsen, um ihn aus seinen kurzen Schlafphasen zu holen.

Im Hotel de Sal Playa Blanca, ebenfalls aus Salz erbaut, machen wir kurz Station. Auch hier die uns mittlerweile vertrauten Toiletten bolivianischer Fasson. Am Plaza de las Banderas haben Reisende aus aller Welt kleine bunte Flaggen hinterlassen, die einen fotogenen Kontrast zum endlosen Weiß des Salar bieten. Gleich daneben befindet sich das etwa 5 m hohe Monumento al Dakar, erbaut natürlich auch aus Salz. Es erinnert an die Rallye Dakar, die 2014 und 2018 durch Bolivien führte.

Plaza de las Banderas
Monumento al Dakar

Nächster Halt am Cementerio de Trenes, dem Eisenbahnfriedhof von Uyuni. Hier haben zahllose Waggons und Lokomotiven ihre letzte Ruhestätte gefunden. Sie stammen aus einer Zeit, als Uyuni noch Knotenpunkt des Gütertransports war. Als sie nicht mehr gebraucht wurden, ließ man sie einfach vor Ort stehen, sie bilden heute den größten Eisenbahnfriedhof der Welt. Langsam rosten die Ungetüme aus Eisen und Stahl vor sich hin. Niederschläge sind zwar selten hier, aber die salzhaltige Luft hat eine mindestens ebenso zerstörerische Wirkung. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass auch an diesem Ort die Selfie-Jäger ein reiches Betätigungsfeld vorfinden…

Cementerio de Trenes

Weiter geht es nach Uyuni, ins Büro unseres bolivianischen Tourveranstalters “Giselle Tours”. Für eine Besichtigung von Uyuni ist leider keine Zeit mehr. In dem kleinen und engen Büro gibt es angeregte Diskussionen zwischen unserem Fahrer und dem Angestellten, deren Inhalt sich uns nicht erschließt. Über zwei Stunden müssen wir warten, bis endlich Bewegung in die Verhandlungen kommt. Ergebnis ist, dass wir einen neuen Fahrer und ein anderes Auto bekommen. Entweder hat der alte Fahrer ein schlechtes Gewissen bekommen ob seiner Verfehlungen (vergessene Buchung der ersten Übernachtung, verschlafener Sonnenaufgang, Fahren unter Alkohol) oder seinem Chef ist das Ganze irgendwie zu Ohren gekommen. Wir werden es nie erfahren…

Nach dem Umladen unseres Gepäcks geht es dann auch los, wir müssen heute noch zurück bis Valle Mar, unserem ersten Übernachtungsort. Als wir dort ankommen (gleiches Hostal), finden wir ein bezugsfertiges Quartier vor, sogar ein Abendessen steht bereit. Mir geht es noch immer schlecht, und ich verschwinde sofort im Bett, Schlafen ist in diesem Falle wahrscheinlich die beste Medizin…


Wird fortgesetzt…

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QuiverTree
Author: QuiverTree

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