Über Gendern und Identitätspolitik (2021)

Auf dieser Website gibt es verschiedene Reiseberichte und Texte, in denen nicht gegendert wird. Warum?

Eines vorweg: Ich bin kein Rassist und kein Homophob und schon gar kein Nazi, und ich stehe keiner rechten Partei oder Gruppierung auch nur nahe. Politisch verorte ich mich links der Mitte. Aber ich bin ein alter weißer Mann, das schon. Und dazu stehe ich. Und ich will mich nicht ständig dafür rechtfertigen müssen. Ich werde also, um den von mir geschätzten Andreas Altmann zu zitieren, nicht allen Schranzen der politischen Korrektheit Genüge (…) tun 1/. Soll heißen: Auf dieser Website wird nicht gegendert.

Das Gendern ist nur Teil einer viel umfassenderen politischen – oder besser ideologischen – Bewegung, die, beginnend in den USA und Kanada, auch nach und nach Europa und Deutschland zu überrollen beginnt: die linksgrüne Identitätspolitik. Und ich halte diese ideologische Bewegung für ein extrem gefährliches Phänomen, welches unsere ohnehin zerrissene Gesellschaft noch weiter zu spalten droht. 2/ 3/

Unter dem Deckmantel der Geschlechter- und Rassengerechtigkeit wird eine Ideologie ausgerollt, die genau das vorantreibt, was zu bekämpfen sie vorgibt. Eigentliches Ziel sollte es aber sein, diskriminierende Unterschiede zwischen Geschlechtern und Rassen langsam verschwinden zu lassen.

Aber zunächst zum Gendern. Warum soll man nach Ansicht der Befürworter gendern? Weil es Frauen und Diverse (dafür steht der “*”,der “:”, der “_” usw.), die – ihrer Ansicht nach – durch den Gebrauch des generischen Maskulinums unsichtbar bleiben, sichtbar machen soll. Wer so argumentiert, hat den Unterschied zwischen Genus und Sexus nicht verstanden. Oder will ihn nicht verstehen, und genau das zeichnet u.a. eine Ideologie aus.

Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben Frauen und Diverse so viele und weitreichende Rechte gehabt wie heute. Und das ganz ohne Gendern, das erst im Verlauf der letzten drei bis vier Jahre in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit gerückt ist. Im übrigen war Gleichberechtigung in der damaligen DDR etwas völlig Normales, über das kaum ein Wort verloren wurde. Es war normal, dass eine Frau einen Produktionsbetrieb leitete oder einen Bagger führte. Und es war normal, dass Frauen bei gleicher Qualifikation die gleiche Entlohnung erhielten wie ihre männlichen Kollegen. Ohne Wenn und Aber.

Dass Gendern oder vermeintlich diskriminierungsfreie Sprachregelungen nicht automatisch zu mehr Gerechtigkeit führt, zeigen Sprachen, die kein grammatikalisches Geschlecht kennen, wie Persisch, Chinesisch oder Türkisch. Auch die beiden eng miteinander verwandten Sprachen Finnisch und Ungarisch kennen keinen Genus. Jeder mag anhand dieser wenigen Beispiele selbst entscheiden, ob die Sprache einen signifikanten emanzipatorischen Einfluss hat.

Aber eine kleine, aber umso lautere Minderheit behauptet gebetsmühlenartig, dass Sprache unser Denken beeinflusse und geschlechtergerechte Sprache zu mehr Gerechtigkeit führe. Natürlich beeinflusst Sprache in gewissen Grenzen auch unser Denken, aber in erster Linie entwickelt Sprache sich so, dass sie immer ökonomischer wird. Nicht immer zu ihrem Besten, wenn man an die Jugendsprache (die man nicht mögen muss) denkt, aber hier liegt der entscheidende Unterschied: Jugend- und Alltagssprache entwickelt sich von der Basis aus, während beim Gender-Neusprech eine elitäre Minderheit versucht, von oben her Einfluss zu nehmen. Wie anders ist es zu verstehen, dass Annalena Baerbock, auf die Tatsache angesprochen, dass die Mehrheit der Deutschen das Gendern ablehnt, sinngemäß antwortet, dass da noch viel zu tun sei. Man will über die Sprache in die Köpfe der Menschen. Darüber, was in meinem Kopf passiert, entscheide ich aber gern noch selbst.

Denn das Gendern hat sich längst breitgemacht in Behörden und Schulen, in den privaten und öffentlich-rechtlichen Medien, in Konzernen. Bei letzteren ist die Motivation noch zu verstehen: Konzerne wollen etwas verkaufen, möglichst viel verkaufen, und wenn der vermeintlich moderne Zeitgeist ihnen dabei hilft, ist jedes Mittel recht. Wer aber gibt Behörden, die durch Steuergelder finanziert werden, das Recht, sich über Empfehlungen des Rates für Deutsche Rechtschreibung hinwegzusetzen? Und sollten Journalisten, deren wichtigstes Werkzeug die deutsche Sprache ist, nicht endlich auch einmal darüber nachdenken, dass man nicht jeder Hysterie hinterherlaufen muss? Und auch die öffentlich-rechtlichen Medien werden von uns allen finanziert. Man muss doch irgendwann zur Kenntnis nehmen, dass die überwiegende Mehrzahl der Deutschen das Gendern ablehnt. Bei Wahlen ist man doch auch bereit, Mehrheiten anzuerkennen, ob einem das schmeckt oder nicht.

Der Gebrauch substantivierter Partizipien stellt angeblich eine Lösung dar, die den Gebrauch von Genderstern & Co. vermeidet. Dass dabei aber eine Verschiebung der Bedeutung des Wortes einhergeht, wird geflissentlich unter den Teppich gekehrt.

Ein Student z.B. ist nach meinem Verständnis eine (männliche oder weibliche) Person, die einen bestimmten Lebensabschnitt durchläuft, nämlich den des Studiums. Student ist man 24 Stunden am Tag, egal ob man gerade im Hörsaal sitzt, in der Kantine zu Mittag isst, in der Kneipe ein Bier trinkt oder im Bett liegt und schläft. Ein Studierender hingegen ist jemand, der sich gerade aktiv mit einer bestimmten Sache auseinandersetzt. Das kann der Student sein, der im Hörsaal oder in der Bibliothek sitzt, das kann der Wissenschaftler sein, der gerade eine Untersuchung durchführt, das kann aber auch der Produktionsarbeiter sein, der sich in der Bibliothek weiterbildet.

Ein Zeichner ist jemand, der mit Zeichnen sein Geld verdient oder dies zumindest als semiprofessioneller Laie tut. Ein Zeichnender hingegen ist auch mein Enkelsohn, der mehr oder minder professionelle Resultate erzielt. Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.

Beim Gebrauch substantivierter Partizipien entstehen dann solche Wortungetüme wie Zu-Fuß-Gehende. Ich frage mich, wo beim Zu-Fuß-Gehen Diskriminierung möglich sein könnte. Dürfen vielleicht Frauen den Fußweg nicht benutzen? Werden sie vom Fußweg gedrängt oder dürfen sie nur links gehen? Ich kann beim besten Willen keine Diskriminierung erkennen, aber die Befürworter des Genderns gendern um jeden Preis.

Was ich akzeptiere, sind Formulierungen wie “Ärztinnen und Ärzte”. Aber auch damit gehe ich undogmatisch um und verwende je nach Kontext eine geeignete Sprechweise. Was bei dogmatischer Anwendung herauskommt, sieht man bei vielen Politikern. ein markantes Beispiel ist Olaf Scholz. Man achte einmal darauf, wenn er z.B. von “Bürgerinnen und Bürgern” spricht: da kommt ihm allenfalls ein “Bürginnen und Bürger” über die Lippen. Für mich ist der Unwille beim Aussprechen dieser Floskeln – mehr ist es für mich nicht – deutlich zu spüren. Dabei wäre es so einfach mit dem generischen Maskulinum.

Und noch einmal: das generische Maskulinum wird von den Befürwortern des Genderns (bewusst) missdeutet. Mantraartig wird uns erzählt, man dürfe Frauen nicht nur “mitmeinen”. Das generische Maskulinum meint nicht Frauen mit, es meint auch keine Männer, es beschreibt einfach nur Gruppen von Personen, die etwas verbindet, ohne deren biologisches Geschlecht im Auge zu haben. Da ist er wieder, der Unterschied zwischen Genus und Sexus.

Laut Wikipedia haben sich bis Ende 2020 in Deutschland ganze 413 Personen als “divers” registrieren lassen. Vielleicht ist die Dunkelziffer noch etwas höher, aber für diese verschwindende Minderheit stehen Gender-Stern & Co. Bei allem Respekt: sollen sich rund 80 Millionen Deutsche deswegen ihre Sprache verbiegen lassen? Auch Mehrheiten haben Rechte, nicht nur Minderheiten.

Nachtrag 1, Februar 2022

Dass Genderstern & Co. keine Lösung des angeblichen Problems darstellt, sollte dessen Befürwortern eigentlich auch schon aufgefallen sein. Folgt man nämlich deren Logik, dann ist der Genderstern auch nichts anderes, als das generische Maskulinum. Denn mit dem Sternchen sollen doch alle Personen nicht-binären Geschlechts sprachlich repräsentiert werden. Was aber, wenn z.B. Transfrauen erklärten, sie wollten nicht nur “mit gemeint”, sondern explizit erwähnt werden? Gibt es dann für jedes der – je nach Zählweise – bis zu 40 Geschlechter (sic!) einen eigenen Genderstern? Generation Beleidigt lässt grüßen…

Nachtrag 2, Februar 2024

Ein paar sehr interessante Aspekte zum Gendern hat der von mir hochgeschätzte Lyriker Reiner Kunze ins Gespräch gebracht 7/, über die jeder, der aus Konformität oder eigenem Antrieb gendert, einmal nachdenken sollte. Sätze wie “Übung macht den Meister”, “Der Klügere gibt nach” oder “Frauen sind eben doch die besseren Zuhörer” können nicht gendergerecht formuliert werden.

Es ließe sich noch viel reden über Themen, die mit dem Gendern oder allgemeiner mit der linksliberalen Identitätspolitik zusammenhängen. Über die seit einigen Jahren in Deutschland mögliche freie Wahl des Geschlechts, wobei grundsätzliche Prinzipien der Biologie qua definitionem ignoriert werden. Über die sog. unzulässige kulturelle Aneignung, die bisweilen absurd-komische Züge annimmt. Über die zunehmende linksidentitäre Unterwanderung der Universitäten (vor allem in den USA und Kanada). Universitäten waren einmal Orte, an denen Wissensvermittlung und positive Streitkultur zu Hause waren. Inzwischen haben viele Menschen – Studenten wie Professoren – das Gefühl, nicht mehr das sagen zu können, was sie denken, aus Angst vor Repressionen. 2/ 5/ Ich sehe die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft in Gefahr. Man könnte noch reden über Cancel Culture 6/, über Denkmalstürmerei, die an die Maschinenstürmerei des 19.Jahrhunderts erinnert. Als könne man Geschichte ungeschehen machen, indem man ihre Symbole auslöscht und über bestimmte Dinge nicht mehr spricht. All das erinnert in erschreckender Weise an die Geschichtsklitterung und den Neusprech in George Orwells Roman 1984 /4.

Ich würde auch in Zukunft gern meinen Gesprächspartner, der aufgrund seines Aussehens vermutlich nicht aus Deutschland oder Europa kommt, noch fragen dürfen, woher er oder seine Vorfahren stammen, ohne dass mir sofort struktureller Rassismus unterstellt wird. Einfach nur aus Interesse am Menschen und seiner Herkunft. Einfach nur, um vielleicht einen Anknüpfungspunkt für ein Gespräch zu finden. Bisher habe ich diesbezüglich noch keine negativen Erfahrungen gemacht, schließlich wird man, wenn man viel reist, auch selbst oft angesprochen, woher man komme.

Das eigentlich Verrückte an der Identitätspolitik aber ist, dass ihre Befürworter genau das Gegenteil dessen bewirken, was zu bekämpfen sie vorgeben: die Spaltung der Gesellschaft wird nicht beseitigt, sondern vertieft. Eine extrem gefährliche Entwicklung, der Einhalt geboten werden sollte. Durch Dialog. Wenn das noch möglich ist. Denn Gewalt ist keine Lösung. Ich möchte aber andererseits nicht zukünftig in einer Gesellschaft leben, die mir vorschreibt, was ich zu denken, zu fühlen und zu sagen habe. Denn dann wäre 1984 zur traurigen Gewissheit geworden.

1/ Ein schneller Hinweis. Der Gender-Wahn geht um. Da ich schon vor Jahren beschlossen habe, nicht jeder Hysterie hinterherzulaufen, soll hier eine kurze Anmerkung stehen: Wenn ich „Leser“ schreibe, meine ich – wie denn nicht? – auch die Leserin. Umso mehr, weil sie, die Leserinnen, uns Schreiber retten, sie die Mehrheit der Bücherliebhaber bilden. Ich werde aber jetzt nicht die gängigen Hieroglyphen anwenden, um allen Schranzen der politischen Korrektheit Genüge zu tun. Ich teile meine Leser nicht nach ihren Geschlechtsteilen ein, auch nicht nach ihrer sexuellen Orientierung, mir ist jede/r recht, auch die Asexuellen, die Schwulen, die Lesben, die Pansexuellen, ja, die Eunuchen, die Transgender, die Rundumoperierten. Ich fordere einzig, dass der Mensch – die Menschin! – sein/ihr Hirn mitbringt, wenn er/sie ein Buch von mir aufschlägt.
Andreas Altmann, Gebrauchsanweisung für das Leben. Piper Verlag, 2017.

2/ Caroline Fourest, Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik. btb, 2021.

3/ Sarah Wagenknecht, Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt. Campus, 2021.

4/ George Orwell, 1984. Neu übersetzt von Jan Strümpel. Anaconda Verlag, 2021.

5/ US-Universitäten und Opferdiskurs: Interview mit Peter Boghossian

6/ Triggerwarnung und Sensitivity Reading sind Totengräber der Kunst

7/Reiner Kunze über Sprachgenderismus als aggressive Ideologie – PT-Magazin

Weitere Quellen:

https://www.homoduplex.de/

Neue Ideologien, nervige Medien, Identitätspolitik und mal wieder das Ende der Demokratie | Telepolis

Redakteur der Berliner Zeitung: „Das Gendern sexualisiert die Sprache“

Nieder mit dem Verstand — es lebe der Blödsinn (Karl Valentin)

Gehört und gelesen: es folgt eine lose Sammlung von besonders schönen Stilblüten, die Ergebnis des Versuchs einer geschlechtergerechten Sprache sind. Ohne Quellenangaben, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ohne Sinn und Verstand.

  • Urlaubende
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QuiverTree
Author: QuiverTree

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