Die internationale Finanzkrise – und was die Physik uns darüber lehren kann

– Verfasst Anfang 2009 –

Spätestens seit den turbulenten Tagen im September 2008 ist die Finanzkrise in aller Munde. Keine Zeitung, die nicht wenigstens einmal pro Woche das Thema Finanzkrise in den Schlagzeilen hat. Keine Talkshow, die nicht diverse Experten und solche, die sich dafür halten, vor die Kamera zerrt. Die ersten Bücher über das Thema stehen sicher pünktlich zum Weihnachtsgeschäft in den Regalen. Man darf vermuten, wie gründlich die meisten recherchiert sind. Die Finanzkrise als Zugpferd im Literaturgeschäft. Wenigstens eine positive Seite. Business as usual …

Noch im September wurde von offzieller Seite verkündet, die Finanzkrise werde auf die (deutsche) Wirtschaft kaum Auswirkungen haben. Jetzt redet man schon über eine Rezession, gar Deflation. Weltweit. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diesen offensichtlichen Widerspruch zu erklären: entweder haben sie es wirklich nicht gewusst, oder man hat uns bewusst belogen. Im ersten Fall darf man die Kompetenz der sogenannten Experten in Zweifel ziehen. Im zweiten Fall ihre moralische Integrität. In beiden Fällen muss man die Frage stellen, ob gewisse Schlüsselpositionen in diesem Staat (und nicht nur diesem) möglicherweise mit den falschen Personen besetzt sind.

Bereits vor sieben, acht Jahren, um das Jahr 2000, platzte schon einmal eine Blase. Damals betraf sie nur die sogenannte “New Economy”. Heute die “Whole Economy”. “Gier frisst Hirn” lautete eine Schlagzeile in der Süddeutschen Zeitung. Kürzer und prägnanter kann man die Ursache des ganzen Desasters wohl kaum ausdrücken.

Dabei hätte man es wissen können. Mit ein wenig gesundem Menschenverstand. Oder physikalischem Grundwissen. Was hätte die Physik uns über die Finanzkrise lehren können?

In der Physik gibt es ein grundlegendes Gesetz, das so fundamental ist, dass es nicht nur ein Gesetz, sondern sogar ein Satz ist: der Satz von der Erhaltung der Energie oder kurz: der Energieerhaltungssatz. Was sagt er aus? In kurzen Worten: Energie kann weder aus dem Nichts erschaffen werden, noch kann sie vernichtet werden. Das bedeutet, Energie kann immer nur von einer Form in eine andere Form umgewandelt werden, die Summe der Beträge aller Energieformen bleibt aber stets konstant. (Bemerkung am Rande: die klassische Thermodynamik formuliert vier Haupsätze, den nullten bis dritten Haupsatz, deren erster eine Verallgemeinerung des Energieerhaltungssatzes ist).

In der Wirtschaftswelt hat man es mit zwei verschiedenen Formen von “Energie” zu tun: dem Volumen der tatsächlich erzeugten Waren und Dienstleistungen und dem entsprechenden finanziellen Gegenwert. Beide sollten in einem Gleichgewicht stehen. Genau dieses Gleichgewicht ist aber in den letzten Jahren in Schieflage geraten. Heiner Geissler, der Querdenker der CDU, hat es einmal anschaulich in etwa so formuliert: in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts entsprach das Volumen der Volkswirtschaften aller Länder zusammengenommen in etwa dem Volumen der Finanzgeschäfte, die in und zwischen den einzelnen Ländern abgewickelt wurden. Heute, dreißig Jahre später, beträgt das Volumen der Finanzgeschäfte ein Vielfaches dessen, was in den Volkswirtschaften als realer Gegenwert vorhanden ist.

Dieses Aufblähen des Finanzvolumens ließe sich erklären, wenn man annähme, dass der Staat große Mengen zusätzlichen Geldes druckte. Dann käme es zu den bekannten Erscheinungen, die eine Inflation auszeichnen (angesichts der in den letzten Jahren teilweise enorm gestiegenen Preise wäre auch dies nicht ganz von der Hand zu weisen, aber der Kern der Sache liegt woanders). Nach den Gesetzen der klassischen Physik ist die Erzeugung von Energie (Geld) nicht möglich, wir müssen uns also nach einem anderen Mechanismus umsehen.

In der modernen Quantenphysik gibt es ein Phänomen, die sogenannte Vakuumenergie, welches dazu geeignet ist, eine Analogie zu den derzeitigen Vorgängen in der Finanzkrise herzustellen. Was man sich landläufig unter einem Vakuum vorzustellen hat, ist den meisten sicher noch aus der Schule geläufig. Vakuum ist gemeinhin die Verkörperung des Nichts, der Abwesenheit von Materie. Mitte des letzten Jahrhunderts stellte man allerdings fest, dass das Vakuum tatsächlich nicht so leer ist, wie man bisher angenommen hatte. Selbst in einem perfekten Vakuum, das keine Teilchen enthält, ist ziemlich viel los. Es tummeln sich dort nämlich unfassbar viele, sogenannte virtuelle Teilchen, die in einem ständigen Entstehen und Vergehen begriffen sind. Woher kommt dieses seltsame Verhalten?

Man muss sich das Vakuum als einen riesigen Ozean an Energie vorstellen (leider kann man aus diesem Ozean keine Energie abschöpfen, sonst wären alle Energieprobleme mit einem Schlag gelöst). In diesem Energieozean gibt es ständig Schwankungen. Der Physiker nennt so etwas Fluktuationen, vergleichbar etwa mit den Schaumkronen auf den Wellenbergen des Ozeans. Und dabei kann es gelegentlich passieren, dass die Energieschwankungen so groß sind, dass daraus ein Teilchen entsteht (strenggenommen zwei Teilchen, das Teilchen selbst und sein Antiteilchen). Denn seit Albert Einstein wissen wir, dass Energie und Masse äquivalent sind.

Nun ist es aber leider so, dass die auf diese Art und Weise entstandenen Teilchen keinen Bestand haben. Sie haben sich die Energie für ihre Entstehung vom Vakuum gewissermaßen nur “geborgt”. Kurze Zeit später sind die Teilchen wieder verschwunden und geben dem Vakuum die geborgte Energie zurück. Die Natur führt peinlich genau Buch über Einnahmen und Ausgaben.

In der Finanzwelt ist etwas ähnliches passiert. Man hat sich Geld geborgt, geborgtes Geld verliehen, geborgtes Geld geliehen, geborgtes und verliehenes Geld geborgt und so weiter. Der eigentliche Zweck dieser Transaktionen ist es, Zinsen zu erwirtschaften und damit Geld zu vermehren. Vielleicht gab es sogar die absurde Situation, dass man verliehenes Geld über eine lange Kette von Gläubigern und Schuldnern selbst wieder geliehen hat. Nur hat keiner daran gedacht, dass man geliehenes Geld auch wieder zurückzahlen muss. Es hatte nämlich niemand mehr den Überblick, in welche Finanzgeschäfte er eigentlich verwickelt war. Anders als in der Natur, die weiß, dass geborgte Energie zurückgegeben werden muss und die über Einnahmen und Ausgaben genau Buch führt … Wie sonst ist es zu erklären, dass die Wahrheit über die Verluste, die die einzelnen Banken im Laufe der Zeit gemacht haben, nur häppchenweise ans Licht kommen?

Ich gebe zu: die Deutung der Finanzkrise mit Analogien aus der modernen Physik ist etwas weit hergeholt (und, um Übereifrigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, auch nicht wirklich ernst gemeint, trotzdem ziemlich ernst). Aber als Physiker, der gewissermaßen täglich mit Bilanzen zu tun hat (wenn auch keine pekuniären) musste einem klar sein: irgendwann wird die Blase platzen. Denn nur durch den Handel mit Geld schafft man keine materiellen Werte. So gesehen muss man nicht einmal physikalische Sätze bemühen. Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass das Tischtuch nicht größer wird, nur weil alle daran ziehen.

Ich selbst habe mich an der Aktienhysterie der letzten zehn Jahre nicht beteiligt. Nicht aus dem Wissen heraus, dass es einmal so kommen musste, wie es gekommen ist (auch wenn ich es instinktiv geahnt habe). Wollte man im Aktiengeschäft erfolgreich sein, musste man täglich das Börsengeschehen verfolgen, Aktienkurse studieren, Papiere hier abziehen und dort neu anlegen … Dieser tägliche Tanz um das goldene Kalb war mir einfach zuwider. In dieser Zeit z.B. ein gutes Buch zu lesen, war mir wichtiger.

Sicher: man hat, wenn man es geschickt anstellte und ein wenig Glück hatte, viel Geld verdienen können. Und genau das haben einem die Medien täglich suggeriert. Wer hat sich vor der Jahrtausendwende schon für Aktienkurse interessiert? Die breite Masse nicht. Heute gibt es keinen Fernsehsender, keine Zeitung mehr, die keinen Börsenbericht im Angebot haben. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich dem Diktat der privaten Medien immer mehr beugen.

Ich finde es perfide, wenn selbst heute, nachdem die Krise ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt (aber meiner Meinung nach noch lange nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt) ist, noch immer für Geldanlagen mit krisenträchtigen Zinsen geworben wird. Auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Wenn verharmlosend von “Finanzprodukten” gesprochen wird, die keiner mehr durchschaut(e). Für meine Begriffe sollte man die “Finanzprodukte” als das bezeichnen, was sie waren und sind: vorsätzlicher und krimineller Betrug im großen Stil. Einige wenige haben dabei gewonnen, die große Masse hat verloren. Insofern ist die Bilanz ausgeglichen. Wie in der Natur.

Wie wird es weitergehen? Ich denke, wir werden die Krise irgendwie überstehen. Viele werden auf der Strecke bleiben, vieles wird hinterher anders sein. Man wird wieder kleinere Brötchen backen. Aber irgendwann wird man langsam vergessen, wie alles begann. Und es werden neue Heilsverkünder kommen, der Tanz um das goldene Kalb wird erneut anheben. Wäre es anders, würde es mich wundern.

Nachtrag 1 (28.Januar 2009):

Dem aufmerksamen Leser wird sicher nicht entgangen sein, dass meine Ausführungen nicht wirklich ernst gemeint waren. Eher ironisch oder zynisch. Ein Körnchen Wahrheit allerdings steckt sicher darin. Mir ging es lediglich darum zu zeigen, dass man mit ein wenig gesundem Menschenverstand hätte begreifen können: allein durch den Handel mit Geld entstehen keine neuen Werte (was immer man unter Werten verstehen mag).

Es gibt aber offenbar bereits mathematisch-physikalische Ansätze für das Problem (Link 1Link 2Link 3), oder zumindest macht man sich darüber Gedanken. Aus meiner Sicht ist das System der Wirtschafts- und Finanzmärkte ein offenes System mit vielen Parametern. Die Anfangs- und Randbedingungen sind schwer fassbar und unterliegen ständigen Änderungen. Das wichtigste aber ist: das System ist nichtlinear. Und nichtlineare Systeme können bei bestimmten Parameterkonstellationen chaotisch sein (s. dazu auch Der verrückte Schmetterling). Chaotische Systeme aber haben die immanente Eigenschaft, auf lange Sicht nicht vorhersagbar zu sein.

Gesetzt den Fall, man würde alle das System beschreibenden Einflussgrößen genauestens kennen, dann wäre man günstigenfalls in der Lage, die Zustände vorherzusagen, die das System annehmen wird, aber vorherzusagen, wann es welchen Zustand annehmen wird, ist prinzipiell unmöglich. Deshalb: wenn Ihr Anlageberater Ihnen voraussagt, die von ihm empfohlenen Aktien würden in den nächsten Monaten steil nach oben schießen, dann schenken sie ihm so viel Glauben, wie der Wahrsagerin, die Ihnen aus dem Kaffeesatz liest. Behält er recht, war es sein Glück. Wenn nicht, war es Ihr Pech.

Wir leben in einer Zeit vollkommener Mittel und verworrener Ziele.

Albert Einstein

Nachtrag 2 (15.Februar 2009)

Man stelle sich folgende Situation vor:

Ein Bankraub, die Bankräuber sind bei der Arbeit. Die Polizei ist auch vor Ort und steht Schmiere. Vor der Bank hat sich eine Menge Schaulustiger versammelt und verfolgt ebenso gespannt wie fasziniert die Aktivitäten der Bankräuber. Und jubelt ihnen zu, den Aktiven, den Tatkräftigen, den Machern. Die Presse ist auch zugegen und feiert die Bankräuber als Helden. Weil sie so gründliche Arbeit leisten, erhalten die Ganoven noch einen Extrabonus: der Bankdirektor zeigt ihnen, wo die Goldreserven liegen (leider reichen sie nicht für alle, und die, die leer ausgehen, kündigen an, sie würden vor Gericht ziehen, um ihren Anteil einzuklagen). Nachdem die Bankräuber unter tosendem Beifall abgezogen sind, stellt der Bankdirektor plötzlich fest, dass die Bank mittellos ist. Notleidend sozusagen. Aber auch er ist ein Mann der Tat. Flugs mischt er sich unter die noch anwesenden Menschen. Mit einem Hut in der Hand, zum Geldsammeln. Für die notleidende Bank.

Eine absurde Situation? Nicht absurd genug, um nicht wahr zu sein. Sie ist soeben vor den Augen der Weltöffentlichkeit abgelaufen. Der Bankdirektor ist noch mit dem Geldsammeln beschäftigt.

Auf die Idee zu diesem Nachtrag hat mich ein Artikel im Managermagazin gebracht. Ausgerechnet im Managermagazin. Dort wurde auszugsweise ein Buch (René Zeier, Bank, Banker, Bankrott) vorgestellt, welches eine offenbar schonungslose Abrechnung mit den verbrecherischen Aktivitäten in der Finanzwelt versucht. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, aber die Lektüre lohnt sicher. Allemal mehr, als die eines der zahllosen Pamphlete, die sich darüber auslassen, wie man noch cleverer noch mehr Geld machen kann. Zentrale Aussage des Buches: Geld kann nicht verschwinden. Das erinnert doch irgendwie an den Energieerhaltungssatz…

Ansonsten geht es weiter wie gehabt. Fast jede Woche ein neues Rettungs- und Konjunkturpaket, ein neuer Rettungsschirm. “Bad Bank” ist das neue Schlagwort. Schon wieder so ein dubioses Finanzkonstrukt. Als würde man seine Schulden los, wenn man eine neue Tasche an sein Jackett näht und den Schuldschein dorthinein schiebt.

Zu Vorkrisenzeiten wurde im Bundestag wochenlang debattiert, wenn es um eine lächerliche Million für Bildung oder Soziales ging. Heute wird binnen Tagesfrist über Finanzhilfen in Milliardenhöhe entschieden. Milliarden, die wir gar nicht haben. Die unsere Kinder und Enkel einmal werden abstottern müssen. Mir stellt sich die Frage, was  passiert wäre, wenn man zum Beispiel die Hypo Real Estate hätte gegen den Baum fahren lassen? Wieviele Arbeitsplätze hätte man mit den Milliarden, die man zu ihrer vermeintlichen Rettung investiert hat, schaffen können? Man gewinnt wirklich den Eindruck, der Versuch, die Finanzkrise zu bewältigen, ist nichts anderes als die Fortführung der Krise mit anderen Mitteln. Mit geliehenem Geld den Konsum ankurbeln, damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Hat die Krise nicht so ähnlich begonnen, damals in den USA? Langsam beginne ich zu verstehen, was sich hinter dem Wort “Finanzexperte” eigentlich verbirgt. Und was nicht.

Es gäbe eine tatsächlich wirksame, allerdings zugegebenermaßen radikale Maßnahme, zukünftige Finanzkrisen zu verhindern: die Abschaffung der Börse. Mücken bekämpft man am besten, indem man den Sumpf trockenlegt. Man müsste noch einmal ein paar Milliarden investieren, um Arbeitsplätze für die zahllosen Börsianer zu schaffen. Arbeitsplätze, auf denen dann aber reale Werte geschaffen würden.

Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?

Bertolt Brecht

Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug für jedermanns Gier.

Mahatma Ghandi

QuiverTree
Author: QuiverTree

3 Gedanken zu „Die internationale Finanzkrise – und was die Physik uns darüber lehren kann“

  1. Kommentar
    Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, daß sich unsere Welt nicht zum Besseren verändern wird. Die Spirale der Wirtschaftszusammenbrüche und Geldgier der Finanzbörsen wird sich immer schneller drehen. Peter Scholl Latour sagte in seiner Letzten TV – Sendung sinngemäß, daß in den letzten Zipfeln dieser Erde, die er in den 50er und 60er Jahren bereiste, Zuvorkommenheit und Gastfreundschaft der einfachen Bevölkerung zu erwarten war. Jetzt kann man dort keinen Schritt tun, ohne ausgeraubt oder getötet zu werden – Anarchie pur. Fatale Auswirkungen der globalen Finanzgier, der Überbevölkerung, der knapper werdenden Ressourcen und auch der modernen Kommunikation.

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  2. Was ist Geld?
    Sehr schöner Text, den ich mit Schmunzeln und Interesse gelesen habe. Als Volkswirtin kenne ich die kaum vorhersagbare Variable Mensch in dem Geldsystem und daran hapert es in allen ökonomischen Modellen. Geld ist ein wunderbarer Projektionsgegenstand und so spielen nicht mehr ökonomische, sondern psychologische und unterbewusste Themen die Grundlage für alle Entscheidungen zum Geld. Wir sollten wieder bewusster und freier damit umgehen und sehen, dass Geld Papier mit bestimmten Funktionen ist. Nicht mehr und nicht weniger.

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