Salaam aleikum – Aleikum salaam (2014)

Verfasst: Mitte 2014

Begegnungen in der marokkanischen Sahara

März 2014

Einer meiner schon seit langem gehegten Wünsche war es, eine Tour in die Sahara zu unternehmen. Am liebsten zu Fuß oder auf dem Rücken eines Dromedars, erlebt man doch die Landschaft auf diese langsame Art der Fortbewegung am intensivsten. Marie-Cécile, eine langjährige Freundin von Evelyn und mir, ist ebenfalls eine heimliche Liebhaberin der Wüste, und so lag es nahe, unsere Leidenschaft zusammen auszuleben. Marie-Cécile ist gebürtige Französin, ein weiterer Grund, den Wüstentrip gemeinsam zu unternehmen. Meine rudimentären Französischkenntnisse stammen noch aus Schulzeiten, so wäre es nicht von Nachteil, eine Muttersprachlerin dabei zu haben. Außerdem würde Marie-Céciles natürlicher Charme sicher helfen, uns so manche Tür zu öffnen. Der Zufall wollte es, dass mein Bruder Andreas als Vierter im Bunde mit von der Partie war.

Nordafrika ist nicht erst seit den Umbrüchen in der arabischen Welt ein eher unsicherer Ort zum Reisen, und so schieden viele interessante Ziele von vornherein aus. Zu den wenigen politisch stabilen Ländern der Region zählt Marokko, und da Marie-Cécile dort einen Berber kennt, der als Berg- und Wüstenführer tätig ist, fiel uns die Wahl nicht schwer.

Da es ab April schon unerträglich heiß in der Sahara werden kann, entschieden wir uns, die Reise Anfang März anzutreten. Die Nächte in der Wüste können um diese Jahreszeit noch empfindlich kalt sein, so gehörten genügend warme Sachen unbedingt ins Reisegepäck. Nicht zu Unrecht, wie sich später zeigen sollte.

Landschaft und Menschen der marokkanischen Sahara ließen unsere insgesamt zehntägige Reise zu einem eindrücklichen und unvergesslichen Erlebnis werden.


München – Marrakech

Samstag, 8.März 2014

Über AlpenPyrenäen und Mittelmeer nach Marrakech

Gegen halb drei Uhr nachmittags starten wir – Marie-CécileEvelyn und ich – in Markt Schwaben in Richtung Flughafen. Dort treffen wir Andreas, gemeinsam checken wir ein. Im Wartebereich des Terminals lernen wir zwei junge Frauen aus München kennen, die zum Skitourengehen in den Hohen Atlas wollen. Für Münchner ein ungewöhnliches Ziel, liegen doch zahlreiche Skiberge praktisch vor der Haustür. Doch Schnee war im vergangenen Winter in den Nordalpen Mangelware, so wollen sie ihr Glück in Marokko versuchen. Zwei Tage später, bei der Fahrt durch den Hohen Atlas werden wir feststellen, dass auch dort wenig Schnee liegt. Die beiden Frauen werden wohl umdisponieren müssen.

Unser Flug über die Alpen und die Pyrenäen verläuft ruhig. In Casablanca haben wir einen Zwischenaufenthalt. Die beiden Frauen verkürzen sich die Wartezeit mit etwas Gymnastik. Zwei Kinder beobachten das ungewöhnliche Tun anfangs mit Skepsis, sind aber bald selbst mit Eifer dabei. Über unserem Zielort Marrakech muss der Flieger drei oder vier Warteschleifen drehen, so landen wir erst kurz vor dreiundzwanzig Uhr Ortszeit. Vor dem Flughafengebäude wartet schon Mohamed auf uns, er wird für die nächsten neun Tage unser Führer und Begleiter sein – und unser Freund werden.

Ein Kleinbus bringt uns in unsere Unterkunft Riad Celia, die mitten in der Medina von Marrakech liegt. Alle Zimmer dieser netten kleinen Pension im traditionellen marokkanischen Baustil gruppieren sich um einen zentralen Innenhof. Alte Möbel, antike Accessoires, eine winzige Dusche, nettes Personal – eine Unterkunft ganz nach unserem Geschmack. Bis weit nach Mitternacht herrscht reges Leben in den engen Gassen der Medina.


Marrakech

Sonntag, 9.März 2014

Marrakech – bunte Stadt im Herzen Marokkos

An diesem Sonntagmorgen herrscht angenehm warmes Wetter, nicht zu heiß, perfekt für unseren Einstieg ins marokkanische Leben. Frühstück auf der kleinen Dachterrasse unserer Pension, unten auf der Straße reges Treiben. Gegen halb sechs Uhr wurden wir das erste Mal geweckt. Der Muezzin rief alle Moslems zum Morgengebet. Da es nicht nur ein Muezzin war, sondern mindestens fünf an verschiedenen Orten, erinnerte der eintönige Singsang ein wenig an – man verzeihe mir den Vergleich – Katzenjammer.

Nach dem Frühstück begeben wir uns auf einen ersten Rundgang durch die Medina von Marrakech. Die Stadt ist bunt, laut, voll, quirlig. Im verwirrenden Geflecht der Gassen der Medina sich orientieren zu wollen, sollte man gar nicht erst versuchen. Mehrmals haben wir es mühelos geschafft, uns zu verlaufen. Exotische Gerüche, Farben und Geräusche fordern alle Sinne. Wasserverkäufer, Schlangenbeschwörer, herumschlingernde Eselskarren – Marrakech bedient alle Klischees, die man von dieser Stadt hat. Vom Menschenstrom durch die engen Gassen lässt man sich am besten treiben. Von vorn Mopeds, von hinten Mopeds, die sich gekonnt ans uns und aneinander vorbeischlängeln. Der oft recht aufdringlichen Angebote der fliegenden Händler auf den Suks erwehrt man sich am besten durch Ignoranz, wer Blickkontakt sucht, hat schon verloren.

In Marokko wird unserem Eindruck nach ein gemäßigter und toleranter Islam praktiziert. Im Straßenbild sieht man Frauen in langen Gewändern, mit und ohne Schleier oder Kopftuch. Daneben trifft man auf junge, europäisch-modern gekleidete Frauen. Eher selten sind Frauen, deren Gestalt von einer Burka völlig verhüllt wird. Männer in Djellaba (langes traditionelles Gewand) mit Vollbärten – so erzählt uns Mohamed – sind selbst von der einheimischen Bevölkerung nicht gern gesehen, erinnern sie doch zu sehr an Salafisten. Und das ist schlecht fürs Geschäft, schließlich lebt Marokko vom Tourismus. In Marrakech gibt es sogar ein Judenviertel, die Beziehungen zu dessen Bewohnern sind von Normalität geprägt.

Dass das tägliche Gebetsritual bisweilen einer gewissen Komik nicht entbehrt, werden wir an einem der folgenden Abende mitten in der Wüste erleben.

Die prächtige Mosquée de la Koutoubia beherrscht das Stadtbild. In den Gärten hinter der Moschee stehen unzählige Bäume mit Bitterorangen.

Mittags treffen wir uns mit Mohamed, der uns mit den Einzelheiten unserer Wüstentour vertraut macht. Mit dabei ist Ismail, unser Koch. Er hat stets ein freundliches Lächeln im Gesicht. „Wie geht’s?“, „Alles klar?“ und „Bayern München“ sind die einzigen deutschen Floskeln, die er beherrscht. Wenn Ismail wüsste, dass Fußball mich nicht sonderlich interessiert…

Für den Nachmittag hat Mohamed uns einen Stadtführer organisiert. Er spricht ausgezeichnet Deutsch, hat er doch einige Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet. Wir besuchen das Museum für Marokkanische Kunst (Dar Si Said) und die Saaditengräber (Tombeaux saadiens). In einem kleinen Laden in der Rue Oqba Ben Nafaa erholen wir uns bei einer Tasse Tee vom Trubel der Stadt und erfahren nebenbei Interessantes über verschiedenste Gewürze und Heilkräuter. Hier wird uns wieder einmal bewusst, wie spielerisch viele Marokkaner mit Fremdsprachen umgehen. Den Namen einer der Heilpflanzen, Garten-Schwarzkümmel (Nigella damascena ) kannte ich ja gerade noch, aber dass uns ein Marokkaner erklären muss, dass sie in Deutschland auch unter den Namen Jungfer im Grünen und Gretchen im Busch bekannt ist, fand ich etwas beschämend.

Im mondänen Restaurant El Bahia wollen wir den erlebnisreichen Tag beenden. Das Innere des Restaurants ist mit schweren Möbeln und prächtigen Teppichen ausgestattet, wir entscheiden uns aber für einen Platz auf der Dachterrasse. Urplötzlich kommt allerdings ein kräftiger Wind auf. Unermüdlich versucht unser Kellner stets aufs Neue, die erloschenen Kerzen auf unserem Tisch wieder zu entzünden. Schließlich ziehen wir in eines der halboffenen Zelte um, die man in weiser Voraussicht auf der Dachterrasse aufgestellt hat. Für das Dessert bittet uns der Kellner dann doch in die orientalisch anmutenden Gemächer im Innern des Hauses. Wohlgesättigt treten wir den Rückweg zu unserem Riad an. Essen und Trinken – das werden wir in den nächsten Tagen noch erfahren – besitzen in Marokko einen hohen Stellenwert.


Marrakech – Ouarzazate – Zagora – Wüstenlager 1

Montag, 10.März 2014

Über Hohen Atlas und Anti-Atlas in die Sahara

Autofahrt Marrakech – Ouarzazate – Zagora – Startpunkt: 402 km; Wanderung bis Lager 1: 8,1 km

Heute heißt es, sehr früh aufzustehen. Uns steht eine lange Fahrt durch den Hohen Atlas bevor. Wir verlassen unser Riad im Dunkeln, es ist gegen halb sechs Uhr. Um diese Zeit liegen die Gassen von Marrakech noch im Tiefschlaf. Ein Kleinbus steht für uns bereit, neben uns sind der Fahrer, MohamedIsmail, unser Koch, und Nabil mit an Bord.

Schnell lassen wir Marrakech hinter uns. Als wir die Ausläufer des Hohen Atlas erreichen, bricht die Dämmerung an. Auf kurvenreichen Straßen kommen wir an grünen Wäldern und Feldern vorbei. Die Mandelbäume blühen um diese Jahreszeit bereits, rosa die Bittermandel und weiß die Süßmandel. Jedes noch so kleine Fleckchen Erde, wenn es denn einigermaßen eben ist, wird bewirtschaftet. Die kleinen Dörfer im Hohen Atlas künden von einem bescheidenen Wohlstand.

Schon tauchen die ersten schneebedeckten Gipfel auf. Wir müssen an die beiden jungen Frauen vom Münchner Flughafen denken. Sie werden den Schnee, auf dem sie ihre Skitouren zu unternehmen gedachten, wohl suchen müssen. In einem kleinen Gasthaus machen wir Rast und trinken einen Tee. Dann erreichen wir den Tichka-Pass (Col du Tichka, 2260 m). Gelegentlich steckt unser Kleinbus in einer Herde Schafe fest, die gerade die Straße überquert. In einer kleinen Fleischerei an der Straße werden gepökelte Teile von Rindern und Schafen feilgeboten.

Gegen halb elf Uhr erreichen wir Ouarzazate. Am Stadtrand liegen mehrere Filmstudios, darunter die Atlas Corporation Studios. Die nahe Wüste diente vielen Filmen als perfekte Kulisse, u.a. wurden hier Teile des Medicus gedreht.

Ouarzazate ist eine moderne Stadt mit heute etwa 100000 Einwohnern, sie wurde erst im Jahre 1928 von der französischen Kolonialverwaltung gegründet. In der riesigen Ebene zwischen Hohem Atlas und Anti-Atlas gelegen gibt es hier viel Raum zum Bauen. Breite Straßen, großzügige Plätze – Ouarzazate ist der architektonische Gegenentwurf zu Marrakech.

Während unsere Mannschaft verschiedene Einkäufe für die vor uns liegenden Tage in der Wüste tätigt, schlendern wir über den prächtigen Place Al Mouahidine. Die Auslagen der wenigen kleinen Läden am Rande des Platzes sind genauso bunt und exotisch wie in Marrakech. Alles geht hier allerdings sehr viel ruhiger und gelassener zu.

Wir verlassen Ouarzazate und nähern uns dem Anti-Atlas. Auf kühnen Serpentinen geht es durch die fast vegetationslose Landschaft. Der Anti-Atlas zwischen Ouarzazate und Zagora ist eine Steinwüste in Gelb, Braun und Schwarz, völlig anders als der grüne Hohe Atlas, aber nicht minder faszinierend.

Auf halbem Weg zwischen Ouarzazate und Zagora legen wir eine Mittagspause ein. Ein kleiner Palmenhain spendet Schatten. MohamedIsmail und Nabil zaubern innerhalb weniger Minuten einen leckeren Imbiss aus Fladenbrot, frischem Gemüse und Hühnchen. Nach dem Essen gibt es Tee. Der wird in Marokko zu jeder Tageszeit und Gelegenheit getrunken. Berber-Whisky nennt Mohamed das erfrischende Getränk scherzhaft, das er gekonnt mit dickem Strahl von der Kanne in die Gläser befördert.

Dann unterweist uns Mohamed in der Kunst, einen Chèche zu binden, die traditionelle Kopfbedeckung der Berber. Anfangs ungewohnt wird uns der Chèche in den nächsten Tagen zuverlässig gegen Sonne, Wind und Sand schützen – viel besser als der breitkrempige Hut, wie ich ihn von zu Hause mitgebracht hatte.

Unsere Fahrt führt uns weiter durch das berühmte Drâa-Tal. Der Fluss ist gesäumt von grünen Feldern und Palmenhainen. Schließlich erreichen wir Zagora, den letzten Vorposten der Zivilisation, bevor das Reich der Sahara beginnt. Hier finden wir das bekannte Schild, das uns darauf hinweist, dass es bis Timbuktu 52 Reisetage sind – im Tempo einer Kamelkarawane wohlgemerkt. Unser heutiges Ziel ist nur noch eine halbe Tagesreise entfernt. Die letzten paar Kilometer mit dem Auto erfordern allerdings das Umladen unseres Gepäcks auf ein geländegängiges Fahrzeug.

Wir verlassen Zagora auf einer staubigen Piste und tauchen ein in die Welt der Wüste. Nach wenigen Kilometern, am Fuß des Passes El Gatara, ist unsere Fahrt zu Ende. Wir sehen einen Berber mit zwei Dromedaren den schmalen Pfad vom Pass herabsteigen. Es ist Youssef, einer der Dromedarführer, der uns in den nächsten Tagen begleiten wird. Er trägt das traditionelle Gewand der Berber, eine lange, graue Djellaba mit schwarzem Chèche. Schräg über seiner Schulter hängt ein kleines braunes Täschchen, das Youssef in den folgenden Tagen nie ablegt.

Mit geübten Handgriffen beladen die vier Männer die beiden Dromedare. Wir sortieren unsere kleinen Rucksäcke, und zusammen mit Mohamed machen wir uns auf den Weg in Richtung des Passes. Die rund zweihundert Höhenmeter bis zum Pass El Gatara (1066 m ü.NN) sind schnell geschafft. Am Pass bläst ein frischer Wind, wir genießen die prächtige Aussicht auf die unter uns liegende Ebene. Die Landschaft ist geprägt von Tafelbergen, die sich aus der weiten Ebene erheben. Mohamed hatte uns schon darauf vorbereitet, dass wir die ersten beiden Tage eine Steinwüste durchwandern werden. Steinwüsten sind ebenso typisch für die Sahara, wie Sandwüsten. Im Gegenteil – nur ein relativ kleiner Anteil der Sahara besteht aus Sandwüste.

Nach einer knapp zweistündigen Wanderung erreichen wir unser erstes Wüstenlager. Hier treffen wir Ibrahim, einen weiteren Dromedarführer. Die typischen weißen Berberzelte stehen schon: ein Küchenzelt, ein Zelt, das als Ess-, Aufenthalts- und Umkleideraum dient, und ein kleines Toilettenzelt. Letzteres hat in seinem Innern ein kleines Loch in der Erde, das Toilettenpapier wird separat gesammelt. Vor der Weiterreise wird das Loch in der Erde geschlossen und das Toilettenpapier verbrannt.

Als Begrüßung bei unserer Ankunft im Lager bekommen wir einen frisch gebrühten Tee, den Berber-Whisky, wie Mohamed in scherzhaft nennt. Ein schönes Zeremoniell, welches sich in den nächsten Tagen noch oft wiederholen wird.

Nach dem wohlschmeckenden und reichlichen Abendessen richten wir unser Nachtlager. Mohamed hat zwar zwei kleine Zelte dabei, aber wir entscheiden uns dafür, unter freiem Himmel zu schlafen. Es ist eine ruhige, mondhelle Nacht.


Wüstenlager 1 – Wüstenlager 2

Dienstag, 11.März 2014

Durch die Steinwüste des Djebel Bani

Wanderung Lager 1 – Lager 2: 20,4 km

Schon vor dem Morgengrauen sind Youssef und Ibrahim auf den Beinen und versorgen die vier Dromedare. Im Halbschlaf hatte ich bemerkt, dass die beiden Berber, ein paar Schritte abseits unseres Lagers, leise ihr Morgengebet verrichteten. Wir haben gut geschlafen. Für mich gibt es kaum etwas schöneres, als dies unter freiem Himmel zu tun – gutes Wetter vorausgesetzt.

Als wir aufstehen, ist unser Frühstück schon gerichtet. Wir hatten nicht erwartet, ein Rundum-Sorglos-Paket gebucht zu haben, da wir es gewöhnt sind, auf unseren Wanderungen selbst für unser leibliches Wohl sorgen. So beeindruckt uns umso mehr, mit welcher Umsicht und Professionalität Mohamed und seine Männer sich um buchstäblich alles kümmern. Wir fügen uns ins Nichtstun und lassen uns gern einmal verwöhnen. Mohamed, obwohl Chef des ganzen Unternehmens, greift seinen Männern dabei tatkräftig unter die Arme, lässt nicht den Boss heraushängen. Es sei ihm wichtig, so erklärt er uns, dass nicht nur die Touristen, sondern auch seine Helfer zufrieden seien. So empfinden wir es auch als sehr vernünftig, dass alle das gleiche Essen bekommen, für uns keine Extrawurst gebraten wird.

Die Dromedare lagern um eine Plane, auf der ihr morgendliches Futter ausgebreitet ist. Leise Kaugeräusche deuten darauf hin, dass es ihnen schmeckt. Stolz heben sie zwischendurch immer wieder ihre Köpfe und lassen den Blick in die Runde schweifen. Dromedare sind Charakterköpfe, jeder mit einem eigenen Profil.

Als Idir mit seinem Dromedar Amar eintrifft, ist unsere kleine Karawane komplett: vier Touristen, fünf Dromedare, sechs Begleiter. Idir ist ein nordafrikanisch-berberischer Vorname und bedeutet „lebendig“. Der junge Berber mit dem freundlichen Gesicht ist mit Jeans, Hemd und Sandalen modern gekleidet, auf den Berber weist nur sein farbenfroher Chèche hin.

Nach dem Frühstück Lagerroutine: Tische abräumen, Sachen und Zelte verpacken, Dromedare beladen. Letzteres ist meist mit einem unwilligen Knurren und Schnauben der Tiere verbunden. Umso geduldiger tragen sie später stundenlang ihre schweren Lasten. Nur dann, wenn sie in die Knie gehen sollen, um be- oder entladen zu werden, macht sich Unmut breit.

Als unsere Karawane aufbricht, ist es schon ziemlich heiß. Wir gehen durch die Hamada (Steinwüste), die beeindruckenden Tafelberge des Djebel Bani säumen unseren Weg. Vereinzelt treffen wir Akazien und Tamarisken an. MohamedNabil und Idir mit seinem Dromedar begleiten uns, der Rest der Karawane geht seinen eigenen Weg. Gemächlich trottet Idirs Dromedar Amar dahin, wir hinterdrein. Es ist ein beruhigendes und entspannendes Erlebnis, hinter einem Dromedar zu laufen, seinen leise wiegenden Gang, seine samtweich scheinenden Fußsohlen zu betrachten. Amar ist nur leicht beladen und begleitet uns für den Fall, dass Marie-Cécile seine Hilfe als Reitkamel in Anspruch nehmen muss. Amar wird allerdings während der nächsten Tage ein leichtes Leben haben.

Nach etwa eineinhalb Stunden erreichen wir die Oase Diabi im Bett des Trockenflusses Oued L’mhasa. Nach kurzer Rast ziehen wir, dem Bett des Oued L’mhasa folgend, weiter. Mohamed hatte uns darauf vorbereitet, dass wir während der ersten beiden Tage durch die Hamada, die Steinwüste, ziehen würden. Er will uns die beiden unterschiedlichen Gesichter der Sahara zeigen: Stein- und Sandwüste.

Das Bett des Oued L’mhasa ist völlig trockengefallen, nur selten treffen wir auf ein paar winzige Pfützen schmutzig grün-braunen Wassers. Am frühen Nachmittag erreichen wir die vorausgezogene Karawane, die im Schatten einiger Bäume ein Lager für die Mittagsrast bezogen hat. Wieder sind wir überrascht ob des reichhaltigen und vielfältigen Mahls, das Ismail und seine Helfer gezaubert haben.

Nach der Rast ziehen wir weiter und erreichen bald eine ärmliche Ansiedlung, bestehend aus ein paar Mauern und notdürftig zusammengezimmerten Hütten. Zwei Frauen und zwei Kinder leben hier, einige der wenigen noch traditionell lebenden Nomaden. Wir respektieren die Bitte der Frauen, nicht fotografiert werden zu wollen, für die Kinder hingegen sei das kein Problem. Die Frauen bieten selbstgefertigte Kleinigkeiten zum Verkauf an, doch als wir etwas erwerben wollen, verdoppelt die eine der beiden Frauen plötzlich den soeben ausgehandelten Preis. Mohamed rät uns, von dem Geschäft abzulassen.

Langsam verdunkelt sich der Himmel, schwere Wolken ziehen auf. Gegen halb fünf Uhr erreichen wir unser zweites Wüstenlager. Inzwischen weht ein kräftiger Wind, am Horizont fällt Regen, ein Sandsturm zieht auf. Dankbar flüchten wir ins Innere des Essenszeltes. Heute nehmen wir Mohameds Angebot an, in den kleinen Bergzelten zu schlafen. In einem Sandsturm draußen zu lagern, ist nicht wirklich angenehm.


Wüstenlager 2 – Wüstenlager 3

Mittwoch, 12.März 2014

Zu den Sanddünen des Erg Sedrat / Erg Smar

Wanderung Lager 2 – Lager 3: 20,1 km

Es hat die ganze Nacht hindurch gestürmt, wir sind froh, in die kleinen Zelte umgezogen zu sein. Zwar wurden wir durch das Knattern der dünnen Zeltwand immer wieder geweckt, aber der Sand blieb vor dem Eingang – zumindest größtenteils.

Gegen acht Uhr sind wir abmarschbereit. Unsere kleine Karawane besteht – außer uns – aus MohamedNabil und einem der fünf Dromedare. Die restlichen Männer räumen wie üblich unser Lager und beladen die Lasttiere. Wir werden sie später wiedertreffen.

Anfangs gehen wir über eine unendlich scheinende Ebene, die dicht an dicht mit faust- bis fußballgroßen Steinen übersät ist. Es bläst ein scharfer Wind, wir sind jetzt froh um unseren Chèche, der Wind- und Sandschutz zugleich ist. Mohamed hat seinen langen Djellaba übergestreift. Die Windgeräusche machen jede Konversation unmöglich, so trottet jeder gedankenversunken vor sich hin. Der viele Sand in der Luft lässt die Sonne wie hinter einem Vorhang erscheinen – eine unwirkliche Szenerie.

Ab und an machen wir einen kurzen Halt, Mohamed ist immer darum bemüht, die Gruppe zusammen- und uns bei Laune zu halten. Bei einem dieser Stopps zeigt uns Mohamed, dass es echte Liebe nur zwischen Berbern und Dromedaren gibt.

Nach zwei Stunden Gehzeit treffen wir den Rest unserer kleinen Karawane wieder. Mohamed wechselt ein paar Worte mit den Männern, dann ziehen sie weiter. Gegen Mittag erreichen wir einen Brunnen, der allerdings – so Mohamed – nur salziges Brackwasser birgt.

Langsam geht die Hamada, die Steinwüste, in eine Sandwüste über. Das bekannte Erg Chegaga befindet sich ein paar Kilometer westlich von uns. Ab und zu queren wir ein paar Fahrspuren, die darauf hinweisen, dass hier gelegentlich Autos unterwegs sind. Mohamed hatte uns erklärt, dass wir das Erg Chegaga nicht ansteuern würden. Es gebe dort zwar die höchsten Dünen Marokkos, aber Superlative zögen auch immer Menschen an. Darum gebe es dort eben auch Autos, feste Zeltunterkünfte und zu bestimmten Tageszeiten viele Menschen. Das entspreche nicht seinem Bild von Wüste, er wolle uns an einen Ort führen, wo es fast ebenso hohe Dünen gebe, wir aber unter uns seien. Wir sind froh darum.

Bald erreichen wir unser Mittagslager, das die Männer im Schatten einiger Tamarisken errichtet haben. Der Wind hat nachgelassen, es ist ziemlich warm. Wir lassen uns im Schatten der Bäume nieder, und da das Mittagessen noch nicht ganz fertig ist, döst jeder ein wenig vor sich hin. Mohamed liegt da wie ein Toter.

Gegen halb drei Uhr ziehen wir weiter, diesmal begleitet uns auch Idir mit seinem Dromedar. Bald erkennen wir am Horizont die von Mohamed versprochenen hohen Sanddünen des Erg Sedrat / Erg Smar, die wir gegen fünf Uhr am Nachmittag erreichen. Die Dünen haben in der intensiven Sonne eine rostrote Färbung angenommen. Wenn möglich, umgehen wir die höheren Dünen, aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden, sie direkt zu überqueren. Das Gehen im Sand ist von ganz unterschiedlicher Qualität. Hat der Wind den Sand ordentlich verpresst, kann man gut darauf gehen, ohne allzu weit einzusinken. Dort aber, wo im Windschatten Sand abgelagert wurde, versinkt man bis zu den Knöcheln im weichen Sand.

Unser Nachtlager zwischen den Dünen steht schon. Wie von Mohamed versprochen, sind wir unter uns. Es ist gegen sechs Uhr nachmittags, als wir noch einmal eine nahegelegene Düne ersteigen, um von dort den Sonnenuntergang zu beobachten. Aber wir haben kein großes Glück. Die Sonne taucht in einen Dunstvorhang am Horizont ein. Sobald die Kraft der Sonne durch den Sand in der Luft gebrochen ist, wechseln auch schlagartig die Farben der Sanddünen von einem leuchtenden Rostrot zu einem fahlen, kraftlosen Gelbbraun.


Wüstenlager 3 – Wüstenlager 4

Donnerstag, 13.März 2014

Zu den Sanddünen des Lac Iriqi

Wanderung Lager 3 – Lager 4: 15,5 km; Wanderung zur Grand Dune und zurück: 4,5 km

Da es windstill war, haben wir die vergangene Nacht wieder draußen geschlafen. Vom prächtigen Sternenhimmel der Wüste haben wir trotzdem wenig gesehen, da der Mond unser nächtliches Lager hell beleuchtete.

Der neue Tag kündigt sich mit einem wunderschönen, pastellfarbenen Himmel an. Mittlerweile ist die Zeit zwischen Aufstehen und Abmarsch zur Routine geworden. Für unsere berberischen Begleiter ist sie das sowieso. Als Mohameds Ruf jallah (auf geht’s) ertönt, setzt sich unsere kleine Karawane in Bewegung.

Heute ist es warm und fast windstill. Jeder trottet gedankenversunken vor sich hin, der wiegende Gang von Idirs Dromedar Amar gibt das gemächliche Tempo vor. Einige hundert Meter links von uns zieht der Rest der Karawane seine Bahn.

Plötzlich helle Aufregung: Mohamed gestikuliert wild mit den Armen und ruft etwas hinüber zu den einige hundert Meter entfernten Männern. Jetzt sehen auch wir, was passiert ist: die Männer hatten die vier Dromedare aneinandergebunden, wie an einer Perlenkette aufgereiht. Die Männer führten die kleine Karawane an, einer von ihnen hielt die Leine des ersten Dromedars in der Hand. So bemerkte keiner von ihnen, dass sich die Leine des zweiten Dromedars von seinem Vorgänger gelöst hatte. Das erste Dromedar folgte seinem Führer, die restlichen drei blieben stehen. Die erste Aufregung machte bald einer allgemeinen Erheiterung und einem Gelächter über das Missgeschick Platz.

Heute ist Gelegenheit, einmal das Reiten auf einem der Dromedare auszuprobieren. Den Befehl zum Niederknien quittiert das Tier mit einem unwilligen Knurren. Sitzt man erst einmal oben, hat man durch die erhöhte Position einen guten Überblick, und der wiegende Gang wirkt so beruhigend, wie es von unten aussieht.

Gegen Mittag queren wir das Trockenflussbett der Drâa, das hier mehrere hundert Meter breit ist. Ab und zu sind Fahrspuren von Vierradfahrzeugen zu sehen.

Gegen zwei Uhr am Nachmittag erreichen wir unser heutiges Lager. Nach dem Mittagessen gönnen wir uns zwei faule Stunden. Dösen, Lesen, Spuren im Sand lesen, Schwarzkäfer beobachten – jeder macht das, wozu ihm gerade der Sinn steht.

Gegen fünf Uhr brechen wir zusammen mit Mohamed und Nabil noch einmal auf, um die nahegelegene hohe Düne zu besteigen und von dort den Sonnenuntergang zu beobachten. Wir befinden uns jetzt im Herzen der marokkanischen Sahara, ringsum Sanddünen, soweit das Auge reicht. Unterwegs unterweist uns Mohamed ganz nebenbei noch im Spurenlesen. Gegen sechs Uhr sind wir kurz vor dem Gipfel der Düne, auf dem sich noch ein paar andere Leute befinden. Da sie ziemlichen Lärm verursachen (warum um alles in der Welt muss man hier lärmen?), halten wir uns noch etwas abseits und betreten den Gipfel erst, als sie verschwunden sind. Wieder verschwindet die Sonne in einem schmutzig-gelben Dunstvorhang. Es wird rasch dunkel, aber der Mond steht schon am Himmel. Und dank Mohameds Ortskenntnis finden wir leicht zu unserem Lager zurück.

Die Männer unserer kleinen Karawane sind alle gläubige Muslime. Ihre Gebete – der Koran schreibt mindestens fünf pro Tag vor – verrichten sie einzeln, immer dann, wenn gerade ein paar Minuten Zeit sind. Dann geht der Betreffende ein wenig zur Seite, führt eine rituelle Waschung (mit Wasser oder Sand) durch, wirft sich auf die Knie (mit oder ohne Teppich) und preist mit leisen Worten Allah. Unauffällig, unaufdringlich, ohne jede Missionierungsabsicht.

Da kommt es dann schon mal zu einer ungewollt komischen Situation. Youssef hat ein Loch in den Sand gegraben, so dass eine Art kleiner Ofen entstanden ist. Er sitzt vor dem Loch, in dem ein kleines Feuer lodert, und bäckt Fladenbrot. Unser Koch Ismail sitzt neben Youssef und beaufsichtigt das Ganze. Da er gerade ein paar freie Minuten hat, tritt er wenige Meter zur Seite und verrichtet sein Gebet. Plötzlich springt Ismail auf und rennt zu Youssef. Der Gestik ihres Disputs entnehme ich, dass nach Ismails Ansicht beim Brotbacken etwas schiefzulaufen drohte. Dass das Brot gelinge, lag Ismail wohl mehr am Herzen, als Allah mit seinem Gebet zu huldigen. Ein sehr pragmatischer IslamAllah wird es wohl gefallen haben. Und uns auch, denn das Fladenbrot ist köstlich.


Wüstenlager 4 – Wüstenlager 5

Freitag, 14.März 2014

Zu den Sanddünen von M‘hamid

Wanderung Lager 4 – Lager 5: 21,5 km

Während wir uns in den vergangenen Tagen in Richtung Süden bewegt haben, marschieren wir heute in Richtung Ostnordost. Es weht wieder ein scharfer Wind, der das Gehen und die Kommunikation beschwerlich macht. Das Terrain ist eben, so trottet jeder gedankenversunken vor sich hin.

Hätte Mohamed uns nicht darauf aufmerksam gemacht, hätten wir es übersehen. Zugegeben, sie sind auch schwer als Reste menschlicher Behausungen aus grauer Vorzeit zu erkennen, diese unscheinbaren mauerähnlichen Gebilde. Eine halbe Stunde später kommen wir an ausgeblichenen menschlichen Überresten vorüber.

Heute sind wir froh, als wir unser Mittagslager erreichen, der ständige Wind zerrt nicht nur an unseren Kleidern, sondern auch an den Nerven. Der Wind ist inzwischen eingeschlafen, dafür ist es nun drückend heiß. Wir nehmen die schattigen Ruheplätze dankend an. Unweit unseres Lagers vollführt ein Staubteufel einen kurzen, wilden Tanz.

Später kommen wir an einem Brunnen vorbei, danach durchqueren wir ein Stück Steinwüste. Die Landschaft wechselt ständig ihr Gesicht. Schließlich kommen wir an einer kleinen steinernen Hütte vorbei. Mohamed erklärt uns, dies sei die Gedenkstätte für einen Marabout, einen islamischen Heiligen. Vor allem Leute aus Algerien kämen an bestimmten Tagen hierher, um dem Marabout zu huldigen.

Der letzte Abschnitt unserer heutigen Wanderung führt uns wieder durch und über hohe, goldgelbe Sanddünen. Idir und sein Dromedar Amar nehmen einen direkten Weg zu unserem Nachtlager, die beiden scheinen sich in der Unendlichkeit der Sahara zu verlieren.

Der Abend ist windstill, weshalb wir erneut beschließen, unter freiem Himmel zu nächtigen. Doch wir liegen kaum eine Stunde in unseren Schlafsäcken, als ein unheimliches Geräusch zu vernehmen ist. Innerhalb einer Viertelstunde hebt ein richtiger Sandsturm an. So schnell kann sich selbst in der Wüste das Wetter ändern. Wir hoffen, dass das Spektakel genauso schnell vergehen wird, wie es gekommen ist, aber das ist ein Irrtum. Mehrere Stunden tobt der Sandsturm, so bleibt uns nichts weiter übrig, als die Schlafsäcke bis zur Nasenspitze zu schließen und auszuharren. Mohamed schleicht ein paar Mal besorgt um uns herum, aber als er sieht, dass wir noch leben, geht er beruhigt zurück in sein Zelt.


Wüstenlager 5 – M’hamid El Ghizlane – Zagora – Ouarzazate

Samstag, 15.März 2014

Nach M’hamid El Ghizlane und weiter bis Ouarzazate

Wanderung Lager 4 – M’hamid El Ghizlane: 11,9 km; Autofahrt über Zagora nach Ouarzazate: 261 km

Zum Glück hat sich der Sandsturm nach ein paar Stunden gelegt, an Schlafen war während dieser Zeit nicht zu denken. Obwohl unser Lagerplatz von meterhohen Dünen mit vermeintlicher Windschutzwirkung umringt ist, und obwohl wir unsere Schlafsäcke bis auf ein winziges Atemloch geschlossen hatten, ist der Sand bis in den letzten Winkel gekrochen. Augen, Ohren, Nase, überall befindet sich feiner Sand, zwischen den Zähnen knirscht es.

Heute ist unser letzter gemeinsamer Tag mit Mohamed und seinen Männern. Es ist gar nicht so leicht, in dem geschäftigen Treiben den richtigen Moment für ein Gruppenbild abzupassen, aber irgendwie bekomme ich dann doch noch alle vor die Linse. Am Abend zuvor hatten wir mit Mohamed über die Höhe des Trinkgeldes für die Männer gesprochen. Ein schwieriges Thema: wir wollen weder einen geizigen, noch einen gönnerhaft-herablassenden Eindruck hinterlassen. In diesem Zusammenhang wird uns wieder klar, welch hohen Stellenwert das Essen in der marokkanischen Gesellschaft einnimmt. Denn der Koch sollte nach Mohameds Meinung außerordentlich gut bedacht werden. Ismail hat uns ja auch vorzüglich bekocht, aber ohne die Leistung der anderen Männer wäre dies nicht möglich gewesen.

Die letzten Kilometer bis zurück in die Zivilisation führen uns wieder über große, von Steinen durchsetzte Sandflächen. Nach zwei Stunden erreichen wir die ersten Zeichen menschlicher Aktivität. Landwirtschaftlich genutzte Flächen, Lehmmauern, Bewässerungskanäle. Im Schatten einiger Palmen machen wir Rast. Idir bindet seinen farbenfrohen Chèche neu, der dabei lustig im Wind flattert.

Schließlich erreichen wir M’hamid El Ghizlane, die Ebene der Gazellen. Der Name der Oasenstadt geht vermutlich auf Zeiten zurück, als es hier noch grün war und tatsächlich Gazellen durch die weiten Ebenen streiften. Heute leben noch etwa 3500 Menschen in M’hamid. Die Lehmbauten sind teilweise verfallen, die Gassen staubig und trocken. Die Drâa führt nur noch selten Wasser. M’hamid ist heute in erster Linie Start- oder Zielpunkt für Karawanen in die Wüste.

Am großen Dorfplatz warten schon die Männer mit ihren Dromedaren, unser Auto, das uns zurück in die Zivilisation bringen wird, ist auch schon da. Nun kommt die Zeit des Abschieds. MohamedIsmail und Nabil fahren mit uns zusammen weiter bis Ouarzazate, von YoussefIbrahim und Idir müssen wir Abschied nehmen. Wenn auch die sprachliche Barriere nähere Kontakte verhindert hat, waren wir doch in den letzten sechs Tagen zu einer kleinen eingeschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen. Die drei Männer kehren mit ihren Dromedaren zurück in die Wüste, zurück zu ihren Familien, bis sie das nächste Mal zusammen mit Mohamed wieder eine kleine Gruppe Touristen durch die marokkanische Sahara führen werden.

Wir sind einhellig der Meinung, dass unsere Wüstentour jetzt noch gern zwei, drei Tage länger dauern könnte. Aber übermorgen geht unser Flieger zurück nach Deutschland, und der wartet ganz bestimmt nicht auf uns. So besteigen wir mit Wehmut unser Auto und begeben uns auf den Rückweg. In einem Trockenflussbett machen wir Mittagsrast, es gibt wieder Fladenbrot und viel frisches Gemüse. Die Strecke über Zagora und den Anti-Atlas kennen wir ja schon von der Herfahrt. In Agdz legen wir noch eine kurze Teepause ein, bevor wir am späten Nachmittag unser kleines Hotel in Ouarzazate erreichen.

Bevor Mohamed, der in Ouarzazate lebt, nach Hause fährt, wird uns noch eine besondere Ehre zuteil: er lädt uns für den Abend zu sich und seiner Familie ein. Er lässt uns mit dem Auto im Hotel abholen. Sein Häuschen steht in einer kleinen Siedlung im Nordwesten von Ouarzazate. Man merkt dem Häuschen und seiner geschmackvollen Einrichtung an, dass Mohamed zu den Marokkanern gehört, die es geschafft haben. Seine Frau und die beiden hübschen Töchter warten schon, ein drittes Kind ist unterwegs. Auch Ismail und Nabil sind zugegen. Wir werden ausnehmend gut bewirtet an diesem Abend, Mohamed und seine Frau führen das Zepter in der Küche. Ismail hat heute Pause. Spät am Abend verabschieden wir uns von allen. Lediglich Mohamed und Nabil werden uns am nächsten Tag bis nach Marrakech begleiten.


Ouarzazate – Marrakech

Sonntag, 16.März 2014

Von Ouarzazate zurück nach Marrakech

Autofahrt von Ouarzazate nach Marrakech: 231 km

Am frühen Morgen machen Andi und ich uns auf den Weg zu einem anderen Hotel in Marrakech. Wir hatten nämlich am Tag zuvor per SMS erfahren, dass unsere Eltern zufälligerweise am gleichen Tag in der Stadt weilen. So hatten wir vereinbart, uns kurz vor deren Hotel zu treffen. Leider gab es ein kleines Missverständnis, so dass aus dem Treffen nichts wird.

Wir hatten Mohamed mehrfach eindringlich gebeten, er möge doch bei seiner Familie in Ouarzazate bleiben, wir kämen auch ohne ihn gut zurück nach Marrakech. Nicht, dass wir auf seine Gesellschaft keinen Wert legten, aber es sei nicht nötig, dass er uns persönlich in Marrakech abliefere. Doch Mohamed ließ sich nicht beirren: privat sei privat, und Geschäft sei Geschäft. Korrekter könnte kein Deutscher sein.

So steht Mohamed, pünktlich wie immer, am Sonntagmorgen mit Auto und Fahrer vor unserem kleinen Hotel. Wir verlassen Marrakech, um kurze Zeit später die N9 für einen kurzen Abstecher zu verlassen. Wir fahren bis zu einem Punkt, von dem aus man einen schönen Blick auf Aït Ben Haddou, eine alte befestigte Siedlung, hat. Die typisch marokkanischen Lehmbauten scharen sich um einen Hügel. Aït Ben Haddou diente schon zahlreichen Hollywood-Produktionen als Kulisse. Leider reicht die Zeit nicht, dem Ort einen längeren Besuch abzustatten.

In Agouim machen wir kurz Halt. Während Mohamed einige Besorgungen macht, beobachten wir interessiert das Leben auf der Straße. Vor einer Metzgerei werden Köpfe und andere Teile von Rindern zum Verkauf feilgeboten.

Gegen Mittag bittet Mohamed uns, in einem kleinen Garten unterhalb der Straße Platz zu nehmen. Während wir faul im Schatten sitzen und Luft an unsere Füße lassen, organisiert Mohamed inzwischen das Mittagessen. Er scheint überall Leute zu kennen, die ihm im Bedarfsfall zur Hand gehen.

Am Nachmittag sind wir zurück in Marrakech. Es war Marie-Céciles besonderer Wunsch, dass wir noch den Jardin Majorelle, einen botanischen Garten, besuchen. Er wurde im Jahr 1923 von dem heute weitgehend vergessenen französischen Maler Jaques Majorelle angelegt. Später kaufte der Modedesigner Ives Saint Laurent den Garten, ließ ihn restaurieren und machte ihn öffentlich zugänglich. Laurents Asche wurde nach seinem Tod im Garten verstreut. In der großzügig gestalteten Anlage sieht man vor allem KakteenBougainvillea und Bambus.

Für den Abend verabreden wir uns noch mit Mohamed und Nabil, wir wollen sie zum Essen einladen. Auf Mohameds Vorschlag hin besuchen wir ein einfaches Restaurant in Marrakech. Das Essen sei gut dort, was man auch daran erkenne, dass viele Einheimische hier speisten. Auf dem Rückweg achten wir genau darauf, dass wir uns in den nächtlichen Gassen von Marrakech nicht wieder verlaufen.


Marrakech – München

Montag, 17.März 2014

Von Marrakech zurück nach München

Der Flieger, der uns zurück nach Deutschland bringen wird, geht gegen sieben Uhr. Für uns heißt das, um halb fünf Uhr aufzustehen. Mohamed hat es sich nicht nehmen lassen, uns noch bis zum Flughafen zu bringen. Wobei selbst das nur die halbe Wahrheit ist: erst, als er uns am Schalter von Royal Air Maroc abgeliefert hat, ist seine Mission erfüllt. So viel Fürsorge ist uns noch nie zuteil geworden. Da wir meist auf eigene Faust reisen, ist das für uns schon zu viel des Guten. Aber so ist er nun mal, der Mohammed. Die Verabschiedung geht uns allen etwas an die Nieren, aber Marokko ist ja nicht aus der Welt. Und dass wir noch einmal mit Mohammed unterwegs sein wollen, darüber sind wir uns alle einig.

Der Flug zurück nach Deutschland verläuft ruhig, in München erwartet uns angenehm mildes, frühlingshaftes Wetter. Zehn wunderschöne und erlebnisreiche Tage finden ihr Ende. An Mohamed und seine Männer sagen wir noch einmal Shukran – Danke.


Epilog

Wen die Bilder und der kleine Bericht dazu inspiriert haben, selbst einmal eine solche Reise zu unternehmen, dem kann ich Mohamed als Führer wärmstens ans Herz legen. Hier der Link auf seine Website: Chougan Travel.

Als literarische Einstimmung auf Marokko ist Elias Canettis kleines Büchlein Die Stimmen von Marrakech sehr zu empfehlen. Seit seinem Erscheinen sind zwar schon fast 50 Jahre vergangen, da aber in Marokko die Uhren etwas langsamer gehen, haben viele der im Buch geschilderten Eindrücke und Stimmungen noch immer Gültigkeit.


P.S.

Zur Zeit, da ich diese Zeilen schrieb, erfuhr ich vom Tod Joe Cockers. Eine der größten und markantesten Stimmen des Rock ist verstummt, was bleibt, ist seine Musik.


© QuiverTree 2014

Links

Fotos zum Reisebericht
Download GPX-Tracks
Chougan Travel

QuiverTree
Author: QuiverTree

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